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Kreuz des Südens

Kreuz des Südens

Titel: Kreuz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Ruckzuck überwanden die drei das Hindernis und ließen sich auf den Boden des stillen dunklen Friedhofs fallen. Weed fühlte sich wie in einer Geisterstadt mit schmalen Wegen, die sich in alle Richtungen schlängelten, mit Grabsteinen und gespenstischen Figuren, so weit das Auge reichte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, Smoke und Divinity könnten es lustig finden, ihn hier zu lassen.
    Vielleicht war das ihr Plan. Kalte Schauer jagten Weed über den Rücken. Weed hatte von Zuhältern gehört, die ihre Mädchen zur Strafe an Friedhofsbäume fesselten und sie über Nacht dort ließen. Einige der Damen sollen den Verstand verloren, andere vor lauter Angst Herzinfarkte erlitten haben und gestorben sein. Eine der Huren, so sagte man, soll sich die Hand abgekaut haben, eine andere hätte Selbstmord begangen, indem sie die Luft anhielt. Weed zwang sich, nicht mit den Zähnen zu klappern. Er wusste, er durfte keine Angst zeigen. »Cool«, sagte er und sah sich um. »Mann, hier drinnen könnte ich wochenlang malen.«
    Er und Divinity folgten Smoke, der genau zu wissen schien, wo er hinging.
    »Weißt du, die ganzen Grabsteine hier - wie leere Leinwand, wie weißes Papier. Ich glaub, ich könnte hier malen, bis ich blöd werde«, fuhr Weed fort. »Kann ich nach der einen Statue noch ein paar andere machen?«
    »Halt's Maul«, sagte Smoke.
    Weed war still. Plötzlich hatte er das Gefühl, als ob ihm lauter kleines Ungeziefer über den Körper krabbeln würde; er schwitzte und fror zugleich. Er fragte sich, wie viele Tote hier wohl lägen. Sicher mehr, als er zählen konnte, zumal er in Mathematik immer eine Sechs hatte. Er wunderte sich, wie viele der Verstorbenen hier PAX geheißen hatten. In seiner Schule hieß niemand PAX, obwohl es ein paar Paxtons gab, und einen Paxinos, der von New York übergesiedelt war und glaubte, er sei der Einzige, der wusste, wie man richtig Englisch spricht. Wovor Weed am meisten Angst hatte, waren die reichen Verstorbenen, die in kleinen Marmorhäuschen mit allen möglichen Verzierungen ruhten. Ihre Namen waren über großen schweren Metalltüren in den Stein gemeißelt. In einige der Häuschen waren auch Fenster eingelassen. Bei der Vorstellung, in die Häuschen hineinzusehen, sträubte sich jedes einzelne Haar auf seinem Körper. Vorstellungen spukten durch Weeds Kopf und richteten furchtbare Verwirrung an. Jemand mit verschimmeltem Gesicht und eingesunkenen Augen hielt in grünlich verfärbten Händen eine weiße Bibel. Gleich würde er umblättern und auf die Stelle weisen: Weed, fahr zur Hölle. Ein grinsendes Skelett in langem Satinkleid hielt eine vertrocknete Rose in knöcherner Hand. Gerade richtete es sich auf, um rasselnd und klappernd hinter ihm her zu fliegen. Weeds Beine drohten zu versagen. Er ließ den Rucksack fallen, seine Füße verfingen sich in den Gurten. Er stolperte, verstrickte sich noch mehr und fiel durch einen kunstvoll zugeschnittenen Buchsbaumstrauch. Fast hätte er sein Gleichgewicht wiedererlangt, doch dann stieß er gegen eine Urne und landete flach auf seinem Gesicht. Mit seinem Kopf hatte er nur knapp einen Grabstein verfehlt, der aussah wie ein Baumstamm. Weed wusste nicht, wer Lt. Col. Peachy Boswell war, aber Weed hatte soeben sein Grab zertrampelt. Smoke und Divinity lachten sich den Arsch ab, mit vor den Mund gepressten Händen, um ja keinen Lärm zu machen. Keuchend und nach vorne gebeugt sprangen sie umher, als stünden sie auf glühenden Kohlen. Weed brauchte eine Zeit, bis er wieder stand. Er sah nach, ob er noch alles hatte und nichts kaputt gegangen war. Sein Ellbogen brannte etwas, und da sah er auch schon, dass Blut über seinen Arm lief. Er kniete sich im Gras nieder und rückte ein paar Grassoden zurecht, die er ausgerissen hatte. Dann nahm er seinen Rucksack und die Tüte mit den Farben auf und zuckte mit den Schultern, als wäre es ihm völlig egal, dass er soeben ein Grab entweiht hatte, wofür einen normalerweise ein Fluch traf, wie er ihn sich vorhin in der weißen Bibel vorgestellt hatte.
    Divinity griff in ihren Denimbeutel und zog eine Flasche Schnaps heraus. Sie und Smoke tranken je einen großen Schluck, dann hielt Smoke Weed die Flasche hin. Weed weigerte sich, sie anzunehmen. Drohend kam Smoke näher. Weed rührte sich nicht.
    »Wenn ich das trinke, kann ich nicht malen«, flüsterte er. »Ich versau dann alles. Du willst doch, dass ich male, oder?«
    »Worauf du einen lassen kannst.« Smoke begann zu lachen. »Die Statue steht gleich

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