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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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östlichen Kreuzberg, dem alten SO  36, auf dem Gelände des früheren
Görlitzer Bahnhofs, der von 1866 an in Betrieb und Teil des damals in Berlin
üblichen dezentralen Kopfbahnsystems war. Neben dem Görlitzer Bahnhof gab es in
Kreuzberg noch den Anhalter Bahnhof, von dem die Züge nach Südwesten abgingen,
Richtung Anhalt bis nach München und Italien. In Tiergarten bediente der
Lehrter Stadtbahnhof die Strecken nach Hannover und ins Ruhrgebiet, also nach
Westen. Der Hamburger Bahnhof und der Stettiner Bahnhof waren für die
namensgebenden Hansestädte zuständig und der Görlitzer Bahnhof für die Strecken
nach Cottbus, Görlitz, Breslau, Prag und Wien. Im Krieg wurden die Gebäude und
Gleisanlagen stark beschädigt, die Isolierung Westberlins im nachfolgenden
Kalten Krieg in Insellage führte schließlich zur Einstellung des Zugverkehrs
vom und zum Görlitzer Bahnhof. Die Abfertigungshallen wurden abgerissen, auf
dem Gleisgelände siedelten sich Baustoffversorger, Lagerhäuser, Speditionen und
Schrottplätze an.
    Seit Ende
der achtziger Jahre planten Stadträte und freie Bürgerinitiativen, diese
riesige innerstädtische Brache zu einer der größten Grünanlagen Berlins
umzugestalten, doch es ging nicht wirklich voran. Es fehlte an Geld, klaren
Kompetenzen und gestalterischen Ideen. Der Görlitzer Park verwilderte
zusehends, während in irgendwelchen Gremien jahrelang gestritten und vertagt
wurde.
    »Soll
ich wirklich nicht besser mitkommen?« Schmittke stoppte den Dienstwagen am
Spreewaldplatz, dem ehemaligen Bahnhofsvorplatz.
    »Wir
bleiben über Funk in Verbindung. Aber funken Sie mich nicht an, klar? Wenn,
dann melde ich mich.«
    »Hören Sie,
Inga, das könnte gefährlich werden.«
    »Ja und?«
Sie lächelte spöttisch. »Wollen Sie mich beschützen, Schmittke?«
    »Ich meine
ja nur …« Schmittke trommelte nervös auf dem Lenkrad herum und sah sie
scheu an. »Wäre das so schlimm?«
    »Ich kann
auf mich selbst aufpassen.« Inga stieg aus. »Halten Sie sich per Funk bereit.«
    Sie sah
sich um. Trotz der späten Stunde waren noch viele Jugendliche auf dem Platz.
Einige fuhren Skateboard, andere tranken und hörten Musik. Seit 1987 stand hier
das Spreewaldbad, das trotz seiner bunkerartigen, mit Graffiti besprühten
Fassade als eines der schönsten Stadtbäder Berlins galt.
    Dahinter
begann hinter alten Backsteinmauern und Bauzäunen der Görlitzer Park. Viel
wildes Grün, verkohlte Feuerstellen und jede Menge Müll. An den Wochenenden
wurden hier von türkischen Großfamilien ganze Hammelhälften gegrillt, und bei
den jährlichen Maikrawallen war der Görli, wie ihn die Anwohner nannten,
regelmäßig Schauplatz erbitterter Schlachten zwischen Polizei und Autonomen.
    An normalen
Tagen sah man hier Jugendliche zwischen selbst gebauten Toren bolzen,
erschöpfte Großstädter dösten in der Sonne. Ab und zu fand man einen Junkie
nach dem letzten Schuss.
    Vorsichtig
schob sich Inga Lenz zwischen wilden Sträuchern hindurch und sah sich
aufmerksam um. Von der Ruine des alten Lokschuppens links dröhnte Musik
herüber, Billy Idols »Dancing with myself«. Eine lärmende Party von Punks mit
geklautem Bier aus einer nahen Tankstelle. Pogo zwischen verbeulten Autowracks,
verzerrte Schatten.
    Inga hielt
sich abseits. Unter ihren Füßen knirschte grobkörniger Sand, manchmal stolperte
sie über einen herumliegenden Ziegelstein und die Reste alter Gleisanlagen.
    Etwas
weiter vorn war hysterisches Gebell zu hören, und Männer johlten dazu.
Wahrscheinlich fand dort wieder einer dieser illegalen Hundekämpfe statt, Pitt
Bulls, die sich ineinander verbissen, bis das Blut spritzte und einer tot am
Boden lag. Ganze Vermögen wurden dabei verwettet. Inga hasste es.
    Sie schob
sich durch niedriges Buschwerk immer tiefer in die verwilderte Brache hinein
und stolperte fast über ein Liebespaar. Freier und Hure beim hastigen Sex.
    »Hau ab,
Spanner«, zischten beide unisono, und Inga machte, dass sie weiterkam.
    Inzwischen
war es weit nach Mitternacht, und Inga lief auf eine große Wiese zu. Hohes
Gras, noch nie gemäht. Es reichte ihr fast bis zu den Hüften. Hier irgendwo
musste die alte Kiesgrube sein.
    Aufmerksam
sah sie sich um. Die Stadt schien in weite Ferne gerückt. Aufkommender Wind
zauste die Wiese und spielte mit dem Laub einzelner Bäume. Irgendwo begann eine
Nachtigall zu singen. Ansonsten war es still.
    Zu still,
wie Inga fand.
    Vorsichtig
tappte sie weiter. Rechts von ihr erhob sich ein Hügel, dort lief sie

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