Kreuzzug gegen den Gral
abfallenden Westseite des Citéhügels thronte das Schloß der Vizegrafen von Carcassonne und Béziers. Sie nannten sich die »Trencavel« (französisch = qui tranche bellement; deutsch = Schneidgut). Von Carcassonne aus herrschten die Trencavel über die reichen Städte Albi, Castres und Béziers. Alles Land vom Tarnfluß bis zum Mittelmeer und den Ostpyrenäen gehörte ihnen. Mit den vornehmsten Fürstenhäusern des Abendlandes waren sie verwandt: den Capet in Frankreich, den Plantagenet in Anjou und England, den Honenstaufen in Schwaben, den Aragon in Katalonien und den Hursio-söhnen in Toulouse.
Der Vicomte Ramon-Trencavel, ein Onkel des Königs Alfons von Aragon, nahm auf dessen und des Königs von England Anstiften an-den Kriegen gegen den jungen Grafen Raimon den Fünften von Toulouse teil. Seine Untertanen empörte der ihnen aufgezwungene Bruderkrieg.
Während des Feldzuges geriet ein Bürger von Beziers mit einem Ritter in Streit. Die Barone forderten von Ramon Trencavel die Herausgabe des Bürgers und erhielten sie. Er muß eine schimpfliche Strafe erlitten haben, die uns allerdings nicht berichtet wird.
Nach Kriegsschluß verlangten die Bürger der Stadt Beziers von dem Vicomte Genugtuung. Trencavel ließ antworten, er wolle sich dem Schiedsspruch der Barone und Notabeln fügen. An einem im voraus festgesetzten Tag (15. Oktober 1167) begab sich Trencavel mit dem Bischof und den Baronen in die Magdalenenkirche von Beziers. Dort erwarteten ihn bereits die Bürger. Aber die trugen Panzerhemden und Dolche unter ihren Gewändern.
Der Bürger, dessentwegen der Zwist entstanden war, trat mit düsterem Blick vor den Vicomte:
»Monseigneur, ich bin der Unglückliche, der seine Schande nicht verwinden kann. Versprecht Ihr, uns Bürgern von Beziers für meine Schmach Genugtuung zu geben?«
»Ich bin bereit«, antwortete der Fürst, »mich dem Schiedsspruch der Barone und Notabeln zu unterwerfen.«
»So ist von Genugtuung keine Rede. Unsere Schande kann nur in Eurem Blute rein gewaschen werden!«
Bei diesen Worten griffen die Verschwörer zu ihren Dolchen. Der Vicomte, sein jüngster Sohn, die Barone und der Bischof wurden vor dem Altar hingemordet.
Etwa vierzig Jahre später sollten die Magdalenenkirche und ihr Hochaltar ein noch furchtbareres Blutbad sehen. Wie ein Vulkan sollte das Gotteshaus bersten und die brennenden Leichen aller Bürger von Beziers unter sich begraben ...
Die Konsuln blieben die Herren der Stadt. Zwei Jahre lang wollten sie von Bischof und Vicomte nichts mehr hören. Sie spotteten der Wut des Adels und der Exkommunikation des Vatikans. So stolz und wild war der Unabhängigkeitssinn der romanischen Stadtrepubliken.
Die stolze Unabhängigkeit läßt gleicherweise an gotischen Feudalismus, römisches Konsulat und iberisches Patriarchat denken, von denen sie sich historisch ableiten läßt.
Um das Jahr 1050 waren Toulouse, Barcelona, Saragossa, Narbonne, Béziers, Carcassonne, Montpellier, Nîmes, Avignon, Arles, Marseille und Nizza fast unabhängige romanische Republiken. Alle hatten sie ihren capitulum (Bürgerrat), der von der Bürgerschaft gewählt wurde und der unter dem fiktiven Vorsitz eines Grafen oder Vizegrafen, aber unter der effektiven Leitung der Konsuln über der Stadt Wohl und Wehe zu Rate saßen. Eine berühmt gewordene Wahlformel hatten zum Beispiel die Aragonier bei der Krönung ihres jeweiligen Königs:
»Wir, die wir ebensoviel sind, wie Ihr seid, sogar noch mächtiger als Ihr, machen Euch zum König, falls Ihr Euch bereit erklärt, unsere Freiheiten zu schützen. Wenn nicht, dann nicht!«
In Narbonne regierten der Erzbischof, der Vizegraf und die Bürger gemeinsam. In Marseille hatten diese drei Gewalten jede ihr eigenes Stadtviertel. In Nizza, Arles und Avignon regierte die Bürgerschaft allein. Diese reichen und stolzen Städter hatten ihre mit Türmen verzierten Palazzi und verteidigten mit Lanze und Schwert die Rechte ihrer Stadt. Wenn sie wollten, so konnten sie sich zu Rittern schlagen lassen und sich mit den Baronen im Turnier messen. Ohne sich in ihrer Würde etwas zu vergeben, trieben solche geadelten Bürger, wie in den griechischen Städten, Handelsgeschäfte über See.
Dieser stolze Unabhängigkeitsdrang der romanischen Städte hatte seinen Ursprung in dem Bewußtsein ihrer ererbten Rechte und dem berechtigten Stolz auf erworbenen Reichtum.
Die Landwirtschaft, die beste Grundlage aller Gemeinwesen und Staaten, blühte. Die Erde brachte Getreide,
Weitere Kostenlose Bücher