Kreuzzug
gebohrt haben.« Dann befahl er: »Wir brauchen eine Liste aller Arbeiter der Bayerischen Zugspitzbahn und der Fremdfirmen, die im letzten Jahr an der Strecke zu tun hatten. Die Liste muss sofort ans BKA !«
Im Fernsehen wurde das aktuelle Programm unterbrochen. Dr. Schwablechner, der die Fernbedienung in der Hand hielt, stellte den Ton lauter.
Die RTL -Reporterin, die vor zehn Minuten noch in der Pressekonferenz gesessen hatte, erschien auf dem Bildschirm.
»Ich melde mich vom Fuß des höchsten Berges Deutschlands, der Zugspitze. Wir wurden vor wenigen Minuten Augenzeugen, wie ein Terrorkommando bekannt gab, einen Zug der Bayerischen Zugspitzbahn mit wahrscheinlich über zweihundert Menschen im Tunnel auf über zweitausend Metern Höhe festzuhalten. Der Zug wurde durch Sprengung der Tunnelröhre vorne und hinten im Tunnel eingesperrt und ist von außen nicht erreichbar. Die Geiselnehmer haben bislang keine Forderungen gestellt. Sie haben sich aber mit einer Botschaft an die Öffentlichkeit gewandt.«
Während dieses Satzes wechselte das Fernsehbild auf die Aufnahmen, die der RTL -Kameramann während der Pressekonferenz gemacht hatte. Man bekam noch mit, dass der Ministerpräsident sprach, dann übernahmen die Geiselnehmer das Bild auf der Leinwand, auf der die Szene im Tunnel erschien und die Schrift mitsamt der Internetadresse.
Die Reporterin wurde wieder eingeblendet. »Noch wissen die Verantwortlichen nicht, um wen es sich bei den Geiselnehmern handelt. Vor Ort sind der deutsche Verteidigungsminister und der Bayerische Ministerpräsident. Ich gebe zurück nach Köln ins Studio.«
»Machen Sie das aus, das ist ja furchtbar!«, stöhnte Lackner.
»Jetzt hat die ganze Welt diese Webadresse. Ist denn auf dieser Webseite schon etwas zu sehen oder zu lesen, Schwablechner?«
»Nein, Herr Ministerpräsident. Nur ein Postkartenbild von der Zugspitze. Sollen wir die Adresse sperren lassen?«
»Um Gottes willen, sind Sie wahnsinnig?«, herrschte ihn der Verteidigungsminister an. »Den einzigen Kommunikationskanal wollen Sie unterbrechen?«
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Teil zwei
Das Kreuz
Kapitel dreißig
Jemenitisches Hochland, 2010
S ie mussten das Land, ihre Heimat, verlassen. Sie erzählten ihren Familien, sie alle wären in Europa als Arbeiter für Höhenbaustellen in den Alpen angeheuert worden, und versprachen, Geld zu schicken. Viel mehr Geld, als die Familien durch die Salzernte und das gefährliche Graben in den aufgelassenen Silberminen verdienen konnten. Dann gingen sie. Aber nicht nach Europa. Nicht auf Höhenbaustellen.
Zwei Jahre waren sie schon weg. Sie hatten tatsächlich Geld geschickt. Die, bei denen sie zwei Jahre lang gewesen waren, hatten es ihnen gegeben. Für die waren das Almosen. Sie hatten unbegrenzte Mittel. Obwohl sie in Zelten wohnten, hatten sie die neuesten Waffen. Hubschrauber. Auch an der Verpflegung wurde nicht gespart.
»Glaubst du, sie lassen uns jemals kämpfen?«
José hätte mehrfach die Geduld verloren, hätte ihn nicht sein Bruder Pedro immer wieder daran erinnert, dass es keine Alternative dazu gab, sich der Kampfausbildung in einem Al-Qaida-Lager zu unterziehen. Einmal, als ihn der Ausbilder seines Teams zehn Sekunden länger, als er es eigentlich aushalten konnte, mit dem Kopf unter Wasser gedrückt hatte, um ihn an die beliebteste amerikanische Verhörmethode zu gewöhnen, hatten sie ihn an seine Grenzen gebracht. Um ein Haar hätte er seinen Rucksack gepackt und wäre wieder abgereist. Nur Pedros langes Zureden bewegte ihn zum Bleiben.
Er war schon immer der Ungeduldigere von beiden gewesen, der unruhige Geist. Am meisten machte ihm zu schaffen, dass es in diesem Ausbildungslager alles gab, nur keine Frauen. Die waren den Gotteskriegern für ihre Zeit nach dem Märtyrertod versprochen. In Hülle und Fülle und als Jungfrauen. Da keiner der Pseudo-Islamisten daran glaubte, war diese Abstinenz die eigentliche Prüfung für sie. Besonders für José, der zu Hause einen recht lockeren Umgang mit dem anderen Geschlecht pflegte.
»Klar lassen sie uns kämpfen. Sie haben jetzt zwei Jahre in unsere Ausbildung investiert. Das machen die nicht zum Spaß.«
Sie standen in einiger Entfernung von den Zelten unter einer der Krüppelkiefern. Es war höchst gefährlich, sich im Lager zu zweit abseits der anderen zu unterhalten, und dann auch noch auf Spanisch. Arabisch war hier Vorschrift. Die Ausbilder wollten immer über alles informiert sein, wollten alles mitkriegen. Jederzeit konnte einer
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