Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
nässende Wunden oder Anzeichen von Krankheit auf. Sie schienen auch gut genährt zu sein, obgleich Prin selbst aus dieser Entfernung in ihren Bewegungen und Gesichtern eine hungrige Verzweiflung zu erkennen glaubte, das zumindest bei einigen von ihnen vorhandene petrifizierende Dämmern der Erkenntnis, dass man sie vielleicht angelogen hatte, dass sie dieses Land des Schmerzes und des Schreckens nicht gleich verlassen durften, wie sie eben noch geglaubt hatten. Vielleicht, befürchteten diese Pavuleaner, war dies nicht das Ende eines kurzen, warnenden Streifzugs durch die Hölle, dazu bestimmt, sie im Realen auf dem schmalen rechten Weg zu halten. Vielleicht hatten sie vielmehr einen Vorgeschmack darauf bekommen, was letztendlich ihr unausweichliches Schicksal sein würde, ein grausamer Trick, der nur der erste von vielen weiteren grausamen Tricks war. Vielleicht konnten sie gar nicht hinaus; vielleicht mussten sie bleiben und leiden.
Nach dem, was Prin wusste, stand einigen von ihnen genau das bevor. Solche Gruppen wurden bei dem, was sie während ihrer Tour erleben mussten, zwangsläufig traumatisiert, und da sie zu den durch und durch verächtlichen Dämonen ihrer Eskorte keine wie auch immer gearteten Beziehungen knüpfen durften, schlossen sie sich wie zu einer kleinen Herde zusammen und fanden eine raue, aber echte Kameradschaft bei ihren Mitreisenden, wie auch immer deren Persönlichkeiten, Lebensumstände und Hintergründe im Realen beschaffen sein mochten.
Wenn dann jemand aus dieser Gruppe ausgesondert wurde, jemand, den man kannte und mit dem man Freundschaft geschlossen hatte, so bekam die ganze Erfahrung einen noch größeren Nachdruck. Es war durchaus möglich, an einer dieser schrecklichen Exkursionen teilzunehmen und zu glauben, dass die Unglücklichen, die man leiden sah, wegen des extremen Ausmaßes ihrer Erniedrigung anders waren– sie sahen subpavuleanisch aus, als wären sie kaum mehr als Tiere. Aber zu erleben, wie bei einem Gruppenmitglied seine oder ihre schlimmsten Befürchtungen Wahrheit wurden, wie man es ewigen Qualen auslieferte, gerade in dem Moment, als alle glaubten, ihr Leben im Realen fortsetzen zu können… Das verankerte die Lektion, die der Ausflug in die Hölle erteilen sollte, noch tiefer und fester im Denken und Fühlen der Reisenden.
Sie wollen durchs Tor gehen. Halte dich bereit. Prin sah zurück und stellte fest, dass der nächste Osteophage ihrem Versteck bedenklich nahe gekommen war. Wir müssen los, Liebste. Er hatte gehofft, dem Tor näher zu sein, wenn es so weit war, aber es ließ sich nicht ändern.
Zieh jetzt an dem Dorn, Chay.
Du versuchst also noch immer, mir etwas vorzumachen. Aber ich durchschaue deine falsche Hoffnung.
Chay! Für so etwas haben wir keine Zeit! Ich kann es nicht für dich tun. Es funktioniert nur, wenn du den Stachel selbst berührst. Zieh ihn jetzt!
Nein. Stattdessen drücke ich ihn, siehst du? Chay verzog das Gesicht, als sie sich den Dorn tiefer in den Hals drückte; sein anderes Ende bohrte sich ihr in den Rüsselfinger.
Prin schnaubte so laut nach Luft, dass der nächste Osteophage seinen großen Kopf in Richtung ihres Unterschlupfs drehte und die Ohren nach vorn neigte.
Verdammt! Na schön …
Prin zog an seinem eigenen Stachel, und der darin symbolisierte geschmuggelte Programmcode wurde aktiv. Von einem Augenblick zum anderen hatte er den Körper eines grinsenden Dämonen, der außerdem auch noch zur größten und eindrucksvollsten Art gehörte: Er verwandelte sich in einen sechsbeinigen Prädator, im Realen längst ausgestorben, ohne Rüssel, aber mit dreifingrigen vorderen Gliedmaßen, die die Funktion von Rüsseln erfüllten. Der Stacheldrahtverhau mit den aufgespießten Leichen, in dem sich Prin und Chay verbargen, gehorchte den besonderen Regeln der Hölle und kam nach oben, um Prins plötzlich viel größer gewordenem Körper Platz zu machen– wie eine monströse Panzerung trug er ihn auf dem breiten, grünen und gelben Rücken. Chay hockte zu seinen Füßen, plötzlich klein geworden. Sie entleerte Blase und Darm und rollte sich zusammen.
Mit einer vorderen Gliedmaße hob er sie hoch, an ihren beiden Rüsseln, in der typischen Art der Dämonen, wie er es oft gesehen hatte, und schüttelte mit einem Brüllen den Verhau von seinem Rücken ab. Das Durcheinander aus Stacheldraht und Leichen fiel neben ihn, und Teile von Toten rutschten von Stangen und Spießen.
Ein schriller Schrei erklang. Einer der Leichenkarren war
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