Krieg im Himmel
verschiedene Gedichte, von denen man meinte, sie wären gegen die Konzerne gerichtet.«
»War es so?«
»Ich war nicht gegen irgendwas, ich war immer für die Menschen.«
Ich nickte, als hätte ich verstanden, was er sagen wollte. Wahrscheinlich sollte er mit jemandem wie Mudge reden, obwohl ich bemerkte, dass Rannu aufmerksam zuhörte.
»Sie haben dafür gesorgt, dass du eingezogen wurdest?«, fragte Rannu.
»Entweder sie oder meine Familie, da bin ich mir nicht ganz sicher.«
»Und dann bist du desertiert?«, fragte ich.
Er nickte. »Zehn Jahre als Sklave war eine zu lange Zeit.« Er tippte gegen den schwarzen Kunststoff seiner Linsen. »Ich glaube, deshalb nehmen sie einem zuerst die Augen. Damit sie Zugang zu unserer Seele erhalten. Ich habe nie ganz verstanden, wogegen ich eigentlich kämpfte.« Er schwieg eine Weile und sah zu, wie ich aß. »Kennst du die Informationen, die angeblich von der Erde stammen?«, fragte er.
Ich nickte. Rannu sagte nichts.
»Wie es scheint, werden unsere Entscheidungen dadurch im Nachhinein bestätigt, obwohl es mir damals gar nicht bewusst war«, fuhr er fort. »Ich konnte es einfach nicht mehr tun. Keiner von uns. Vielleicht waren wir alle einfach zu sehr geschwächt. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr kämpfen werde.«
Trotz meiner Ansichten über Deserteure fiel es mir schwer, diese Leute zu verurteilen. Ich wollte ihn nach den Kameraden fragen, die er im Stich gelassen hatte, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Schließlich gab es nur einen einzigen Menschen, der mir nach meiner Dienstzeit noch geblieben war – Mudge. Wenn man Rolleston und die Graue Lady nicht mitrechnete.
»Du weißt, dass sie euch von hier vertreiben werden? Wenn sie euch nicht töten«, sagte Rannu.
»Die Plünderergruppen hassen uns sowieso. Sie schießen, sobald wir zwischen ihnen und dem auftauchen, was sie haben wollen. Sie haben schon viele von uns getötet. Schließlich interessiert es niemanden, wenn Deserteure sterben. Nicht wahr?« Er sah uns erwartungsvoll an, aber keiner von uns beiden wollte in seine Linsen blicken. Die Bandagen um seinen Mund verzogen sich, als würde er lächeln. »Wir wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist. Ständig droht der Tod. Seid ihr euch dessen bewusst?«
Auf jeden Fall fühlte es sich so an. Wir waren immer höchstens einen Schritt vom Tod entfernt. Das Gefühl, dass meine Glückssträhne enden würde, wenn ich nicht aufhörte, solche Dinge zu tun. Nur zwei Schüsse, zwei Treffer. Fleisch, das einmal ein Mensch war, stürzte auf den kalten Steinboden. Für einen Moment verstand ich den Reiz, den Das Ende hatte. Dann erinnerte ich mich daran, wie wichtig es war, dass Rolleston starb.
»Demiurg?«, fragte ich.
Er drehte den Kopf. Er schien mich aufmerksam zu mustern. »Die Schwarze Welle?«, fragte er zurück.
Ich verfluchte mich für meine Indiskretion. Andererseits hatte er längst an meinem Akzent erkannt, dass ich nicht von hier war. »Ihr verehrt ihn?«, wollte ich wissen.
»Es ist eher so, dass wir ihn als Unvermeidlichkeit respektieren. Ein Krieg endet und ein neuer beginnt. Diesmal kämpfen wir gegeneinander, und wenn die Informationen stimmen, die vom Widerstand verbreitet werden, haben wir auch den letzten Krieg gegen uns selber geführt. Es gab einen Dämon, einen Vorboten …«
»Im Netz?«, fragte Rannu.
Der Mann nickte. Das ließ mich erschaudern. Von allen religiösen Erfahrungen im Netz waren diejenigen mit den sogenannten Dämonen immer die schlimmsten und destruktivsten – und das nicht nur für die Hacker. Ich erinnerte mich an den Jungen, der in Fintry im beschmutzten Bett gelegen hatte, der Vikar über ihm, mit Kreuz und Bibel in den Händen, während er versuchte, das dämonische Virus in der Ware des Jungen auszutreiben.
»Er erzählte mir von der Ankunft der Schwarzen Welle. Er sagte mir, die Schwarze Welle sei Hass.« Der Mann lachte. »Kannst du dir so etwas vorstellen? So viele Jahre haben wir die Maschinen verfeinert, und am Ende haben wir es geschafft, dass sie hassen.«
»Warum also verehrt ihr etwas, das so …« Ich suchte nach dem richtigen Wort.
»Negativ ist?«, half Rannu mir aus. Es kam mir etwas zu schwach vor, aber ich konnte damit leben.
»Wegen der Unvermeidlichkeit und der Symbolik. Sechzig Jahre Krieg waren noch nicht genug. An einem gewissen Punkt will sich die Menschheit selbst vernichten. Wenn nicht durch diesen Krieg, wird man andere Gründe finden. Die Schwarze Welle ist der perfekte
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