Krieger der Stille
Maranas spürte die unendliche Traurigkeit und Erschöpfung seines Freundes.
»Ich bin am Ende. Ich stehe vor dem Nichts. Die Tradition hat mich verstoßen, weil ich sie verraten habe. Wer weiß schon, warum solche Dinge geschehen? Warum das Schicksalsrad sich eher in die eine als in die andere Richtung dreht? – Aber in Aphykit liegt unsere ganze Hoffnung. Die letzte Hoffnung. Aphykit ist ein schöner Name. Im Altsyracusischen bedeutet er ›unter der Asche schwelendes Feuer‹ oder ›wiedererwachtes Feuer‹. Sobald du das Haus verlassen hast, suchst du sie so unauffällig wie möglich. Die Pritiv-Mörder werden dich nicht beachten, du interessierst sie nicht. Solltest du Aphykit nicht erkennen, sei unbesorgt, sie wird dich erkennen. Sie wird wissen, dass du mein Bote bist. Du musst sie unbedingt vor den Mördern finden, Maranas! Von deiner Schnelligkeit und deiner Geschicklichkeit hängt das Schicksal von Milliarden Menschen ab. Du sagst ihr …«
Das Geräusch schneller Schritte und zuschlagender Türen unterbrach die Instruktionen des Meisters. Maranas öffnete automatisch die Augen und sah drohend wirkende Gestalten im weißen Rahmen der Terrassentür stehen.
Der Pfau stieß Angstschreie aus, während er mit schlagenden Flügeln auf das schützende Gebüsch zulief. Sein hübscher Kopf war plötzlich von seinem Körper getrennt und rollte über den Gartenweg. Beim Anblick der Blutfontänen,
die stoßweise aus dem kopflosen Körper austraten, zogen sich die Bauchmuskeln des jungen Prougen krampfartig zusammen. Er geriet in Panik und stand keuchend auf.
»Setz dich!«, befahl Sri Mitsu mit seiner ganzen ihm verbliebenen Energie. »Schließ die Augen!«
Trotz seines Entsetzens gehorchte der junge Mann.
»Schnell! Du sagst Aphykit, dass sie unbedingt den dritten Meister aufsuchen muss! Nur er kann ihre Ausbildung vollenden. Und er wird wissen, wie mein Versagen kompensiert und die Lage verbessert werden kann. Doch sie muss aufpassen: der Mahdi Seqoram ist nicht … Der Orden hat kein … mehr …«
Maranas hörte ein Sirren und dann ein schreckliches gurgelndes Geräusch. Ihn überkam eine Eiseskälte, und er hatte das fürchterliche Gefühl, als würde der Tod in ihn gleiten. Er öffnete ein Auge: Doppel-Haut war in seinem kleinen Boot zusammengesackt. Das Weiß färbte sich langsam rot. In seiner Kehle steckte eine runde, scharf geschliffene Scheibe, die sich noch immer drehte und Fleisch und Knochen zerfetzte. Ein scharlachroter Strom ergoss sich aus der klaffenden Wunde, und der bleiche Kopf des alten Mannes fiel in einem bizarren Winkel auf seine Schulter.
Vor Entsetzen gelähmt brauchte der junge Mann ein paar Sekunden, bis er begriff: Fröhlich und unbeschwert hatte er seinen Geliebten besucht, und plötzlich fand er sich in einem Albtraum wieder …
Ein Befehl, der aus dem Garten zu ihm drang, riss ihn aus seiner Starre. Wieder hörte er dieses Sirren und duckte sich instinktiv. Eine funkelnde Scheibe flog über seinen Kopf und blieb in einem Möbel stecken.
Jetzt sprang er mit der Geschmeidigkeit einer Wildkatze auf und flüchtete über die Lufttreppe in den ersten Stock. Schon hatten die grauweißen Gestalten den Salon erreicht. Die nächste Scheibe bohrte sich in das Geländer, nur wenige Zentimeter von seiner Hand entfernt. Er rannte die Treppe hoch und warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht auf den Hebel, der die Treppe sofort in einer Mauernische verschwinden ließ. Die plötzlich ihrer Luft beraubten Stufen formten eine hermetisch schließende Klappe auf dem Treppenabsatz. Doppel-Haut hatte diesen Mechanismus installieren lassen, weil er nicht gestört werden wollte, wenn er sich mit seinen jungen Liebhabern in einem seiner Schlafzimmer vergnügte.
Maranas hörte dumpfe Geräusche von unten. Seine Verfolger schoben Möbel unter die Falltür. Kalter Schweiß rann über seine Stirn. Er versuchte, sich zu beruhigen und seine Gedanken zu ordnen.
Grünes Licht drang kreisförmig durch die Falltür. Der beißende Geruch verbrannten Holzes breitete sich aus.
Maranas lief ins blaue Schlafzimmer, weil der Balkon dort auf die Straße hinausging. Glücklicherweise stand die Tür offen.
Inzwischen hatten die Mörder ein Loch in die Falltür geschnitten und hievten sich hoch.
Maranas schwang sich über die schwarze Optalium-Brüstung des Balkons und sprang. Er landete vier Meter tiefer auf einer staubigen glutheißen Straße und hatte sich den Knöchel verstaucht. Trotz des stechenden
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