Krieger des Feuers - Sanderson, B: Krieger des Feuers - The Well of Ascension, Mistborn 2
Verhungern gestanden hatte – ein Mädchen, das öfter
geschlagen als mit freundlichen Worten bedacht worden war. Seufzend wandte sich Vin von dem Schaufenster ab. Doch schon der nächste Laden zog ihre Aufmerksamkeit auf sich.
In ihm wurden Ballkleider verkauft.
Es war keine Kundschaft in dem Geschäft; am Vorabend einer Invasion dachten nur wenige daran, sich ein Kleid zu kaufen. Vin blieb vor der offenen Tür stehen und fühlte sich beinahe wie Metall, an dem auf allomantische Weise gezogen wurde. Drinnen standen Schaufensterpuppen, die in majestätischen Kleidern steckten. Vin betrachtete die engen Taillen und die glockenartigen, sich nach oben verjüngenden Röcke. Sie sah sich wieder auf einem Ball, leise Musik spielte im Hintergrund, die Tische waren in makellosem Weiß gedeckt, Elant stand oben auf seiner Galerie und blätterte in einem Buch …
Beinahe wäre sie hineingegangen. Aber warum sollte sie sich die Mühe machen? Die Stadt würde bald angegriffen werden. Außerdem waren solche Kleider teuer. Es war anders gewesen, als sie Kelsiers Geld dafür ausgegeben hatte. Doch nun war es Elants Geld – und Elants Geld war das Geld des Königreiches.
Sie wandte sich von den Kleidern ab und ging weiter die Straße entlang. So bin ich nicht mehr. Valette ist nutzlos für Elant – er braucht eine Nebelgeborene und nicht ein linkisches Mädchen in einem Kleid, das es kaum ausfüllt. Ihre Wunden aus der vergangenen Nacht, die nun zu prallen Blutergüssen geworden waren, erinnerten sie deutlich an ihren Platz. Sie verheilten gut – schließlich hatte sie den ganzen Tag heftig Weißblech verbrannt –, aber Vin würde noch eine Weile etwas unbeweglich sein.
Sie schritt schneller aus und ging zu den Viehpferchen. Dabei bemerkte sie, dass jemand sie verfolgte.
Nun, vielleicht war »verfolgen« ein zu wohlgemeintes Wort. Dem Mann gelang es nicht, unbemerkt zu bleiben. Er hatte eine Stirnglatze, aber an den Seiten trug er das Haupthaar lang. Er steckte in einem einfachen Skaa-Mantel, einem lohfarbenen Kleidungsstück, das mit Ascheflecken übersät war.
Großartig, dachte Vin. Das war ein weiterer Grund, warum sie
den Markt mied – oder jeden anderen Ort, an dem sich die Skaa in Massen versammelten.
Sie wurde noch schneller, und der Mann passte sich ihrer Geschwindigkeit an. Bald erregten seine unbeholfenen Bewegungen allgemeines Aufsehen – doch statt ihn zu verfluchen, blieben die meisten Menschen ehrerbietig stehen. Einige gesellten sich gar zu ihm, und nun wurde Vin von einer Menschentraube verfolgt.
Ein Teil von ihr wollte einfach eine Münze zu Boden werfen und davonschießen. Ja, dachte Vin spöttisch, gebrauche nur Allomantie im hellen Tageslicht. Das macht dich völlig unverdächtig.
Seufzend drehte sie sich um und stellte sich der Gruppe. Keiner in ihr wirkte besonders bedrohlich. Die Männer trugen Hosen und blasse Hemden, und die Frauen hatten schmucklose, zweckmäßige Kleider an. Einige andere Männer steckten in einteiligen aschefleckigen Gewändern.
Es waren Priester des Überlebenden.
»Erbherrin«, sagte einer von ihnen. Er näherte sich ihr und fiel auf die Knie.
»Nenn mich bitte nicht so«, erwiderte Vin leise.
Der Priester blickte zu ihr auf. »Bitte. Wir brauchen eine Orientierung. Wir haben uns des Obersten Herrschers entledigt. Was sollen wir jetzt tun?«
Vin machte einen Schritt nach hinten. Hatte Kelsier gewusst, was er tat? Er hatte den Glauben der Skaa an ihn geschürt und war dann als Märtyrer gestorben, während sie ihre Wut gegen das Letzte Reich gerichtet hatten. Was hatte er wohl für die Zeit danach erwartet? Hatte er die Kirche des Überlebenden vorhergesehen – hatte er gewusst, dass sie den Obersten Herrscher als ihren Gott absetzen und Kelsier auf dessen Thron heben würden?
Die Schwierigkeit bestand darin, dass Kelsier keine religiöse Lehre hinterlassen hatte. Sein einziges Ziel war es gewesen, den Obersten Herrscher zu besiegen, teils um Rache an ihm zu nehmen, teils um sein Vermächtnis damit zu besiegeln, und auch um die Skaa zu befreien, wie Vin hoffte.
Aber was nun? Diese Leute mussten sich fühlen wie sie selbst. Sie trieben umher und hatten kein Licht, nach dem sie sich ausrichten konnten.
Vin konnte nicht dieses Licht sein. »Ich bin nicht Kelsier«, sagte sie ruhig und wich noch einen Schritt zurück.
»Das wissen wir«, erwiderte einer der Männer. »Aber Ihr seid seine Erbin. Er ist vorangegangen, und nun seid Ihr die Überlebende.
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