Kriegsenkel
völlig überflüssigen Anschaffungen reagiert, auf eine Stereoanlage zum Beispiel. Nun aber, in seiner Traumwohnung, quasi am Ziel seiner Wünsche, wurde Robert von Schuldgefühlen geplagt. Eine innere Stimme setzte ihm zu, eine Stimme, die nicht verstummen wollte: »Es geht dir zu gut! Du arbeitest nicht hart genug. Du willst mit 30 Wochenstunden ein schönes Leben führen. Und du willst mehrere Monate im Jahr in Urlaub fahren. Das leistest du dir alles und hast auch noch Erfolg. Du hast eine gute Beziehung. Und nun auch noch Eigentum. Das ist zuviel. Das steht dir nicht zu!«
Wer war diese Stimme? Sein Gewissen? Ein Neidhammel? »Es geht dir zu gut! Das steht dir nicht zu!« Die Vorwürfe [42] seines inneren Konflikts hörten nicht auf. Es war wie eine absurde Belagerung, gegen die sein Verstand nichts auszurichten vermochte. In jener Zeit entwickelte Robert Bilak das, was er rückblickend eine »handfeste Macke« nennt. Sein Umgang mit Geld veränderte sich. Er, der zuvor beim Hauskauf und während der Sanierung umsichtig gewaltige Summen bewegt hatte und wie geplant als Gewinner hervorgegangen war, verlor den Überblick bei seinen alltäglichen Ausgaben. Die völlig neue und dann über viele Jahre anhaltende Situation war die, dass er seinen Dispokredit stets komplett ausschöpfte. »Das hat mich natürlich permanent unter Spannung gehalten.« Nachts wurde er wach und überlegte, ob noch genug Geld auf dem Konto sei oder ob er das Limit endgültig überschritten habe. Er litt unter der Vorstellung, die Bank würde seine Daueraufträge stornieren, ja sogar Lastschriften zurückschicken, womöglich – was er als besonders peinlich empfunden hätte – die Gebühren für die nächste Fachtagung.
Woher kam der neurotische Umgang mit Geld?
Etwas Irrationales, das sich seiner Kontrolle entzog, drängte ihn, über seine Verhältnisse zu leben. Er konnte sich nicht erklären, warum er sich so neurotisch verhielt – und erst recht nicht, warum ihm die Situation zu keiner Zeit völlig entglitt, denn finanziell bedrohlich wurde es für ihn nie. Heute sagt er dazu: »Es war ein äußerlicher Spiegel meiner Schuldgefühle. Sie machten nun Sinn. Sie wurden ja konkret durch Schulden ausgedrückt.« Wenn er neue Freunde gewann, denen er sein merkwürdiges Verhalten zum ersten Mal anvertraute, wurde er gefragt, warum ihn das überhaupt aufrege, das machten doch viele nicht anders – da sei doch nichts dabei. Robert Bilak selbst aber fragte sich immer öfter, ob er da vielleicht einen völlig verdrehten Kampf gegen die Sparsamkeit seiner Eltern führte.
[43] Natürlich war er mit dem Wissen groß geworden, dass Mutter und Vater, Anfang der 30er Jahre geboren, den Krieg als Kinder erlebt hatten. Sie stammten beide aus Flüchtlingsfamilien. In Süddeutschland war es ihnen gelungen, eine neue Existenz aufzubauen, strebsam und ungeheuer sparsam. Als die Jahrzehnte ins Land gingen und sich der kleine Wohlstand unübersehbar mehrte, beruhigte das seine Eltern nicht. Sie blieben beherrscht von ihrer Angst, das Elend könne wiederkommen. Darum arbeitete der Vater wie besessen und die Mutter drehte jeden Pfennig um. »In diese Richtung gingen also meine ersten Vermutungen, was den Hintergrund des Dispo-Theaters betraf«, erläutert er. »Zunächst dachte ich, wenn man sich emotional damit beschäftigt, müsste sich die Macke eigentlich abschwächen oder auflösen. Das geschah aber nicht.« Sein Umgang mit Geld blieb unvernünftig und raubte ihm sein entspanntes Lebensgefühl, das ihm so viel bedeutet hatte. »Und was mir auch noch in diesem Zusammenhang auffiel: das Jammern und Leiden der Deutschen. Ich dachte: Komisch, wir sind doch eine der reichsten Industrienationen der Welt. Das ist doch paradox!«
Für seine Eltern schien die Kindheit ein abgeschlossenes Kapitel zu sein, das sie nur selten erwähnten. Wie der Sohn sich erinnert, geschah es stets beiläufig, zum Beispiel, wenn sie im Urlaub neue Bekanntschaften machten und die jeweilige Herkunft zur Sprache kam. Dann fiel das Wort Vertreibung und dass alles verloren ging, die Heimat, der Besitz und dass man wieder bei Null habe anfangen müssen. Stets fügten die Eltern mit Nachdruck hinzu, wie viel Glück man bei Kriegsende gehabt habe, und dass man gut mit Lebensmitteln versorgt gewesen sei … Ja, und dann habe man fort gemusst, das sei dann dramatisch gewesen. Aber alle Familienmitglieder hätten überlebt, und das sei schließlich das Wichtigste.
Mutter und Vater waren
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