Kriegsenkel
von liebevollen Eltern umsorgt worden. Wie es sich in seiner Erinnerung darstellt, hat er als Kind nichts vermisst, außer Geschwister. »Ich war ein Sonntagskind, dem alles gelang, was es sich vorgenommen hatte.« Ein Friedenskind war er, bestens ausgestattet, auch mit Bildung. Erst als Erwachsener fiel ihm auf, wie maßlos seine Eltern schulische Leistungen verlangt hatten. Dahinter erkannte er ihre große Existenzangst und die Sorge, ihrem Sohn könne es einmal genauso ergehen, wie ihnen selbst – auch er könne eines Tages alles verlieren und vor dem Nichts stehen. Ihnen, den Flüchtlingen, hatte sich als Überlebensmaxime eingebrannt: Nur, was man gelernt hat, das kann einem keiner mehr nehmen.
»Darum wurde ich immer angehalten, in den Schulbüchern weiterzublättern und dann den Stoff für zwei Unterrichtsstunden im Voraus zu lernen«, erinnert sich Bilak. »Dabei war ich schon der Beste der Klasse!« Gewehrt hat er sich erst später, als er eigene Gedanken und Vorstellungen vom Leben entwickelte. Doch von einer Rebellion konnte auch da keine Rede sein. Ihm lag nichts an einem Dauerclinch mit seinen Eltern. Deshalb hielt sich auch in späteren Jahren der Generationenkonflikt in der Familie Bilak in Grenzen.
[40] Auf der Suche nach Vorbildern
Robert war nicht nur ein herausragender Schüler, sondern in seiner Jugend auch ein Suchender. Er wollte etwas Neues wagen, er wollte gegen den Strom schwimmen. Menschen mit hohen Idealen zogen ihn an, radikale Lebensentwürfe, kompromisslose Visionen. Er suchte Vorbilder, die er in seiner Verwandtschaft nicht fand. Schließlich landete er in einer Gemeinschaft, wo sich – so empfand er es in seiner Unerfahrenheit – Gemeinsinn mit religiöser Hingabe und dem Gefühl des Auserwähltseins verband. Eine Lehrerin hatte ihn in der Oberstufe für Opus Dei (»Werk Gottes«) angeworben. Auf ihrer Homepage sagt die katholische Gemeinschaft über sich: »Der Geist des Opus Dei – die Heiligung der Arbeit und des alltäglichen Lebens – ist seit 1928 ein Weg der Begegnung mit Gott«. Öffentliche Kritiker wie Peter Hertel, Buchautor und Experte für fundamentalistische Strömungen im Katholizismus, sprechen von einem »Geheimbund«. 10
Bilak berichtet, wie wohl es ihm anfangs getan habe, dass intelligente, aufmerksame Menschen ihm viel Zeit widmeten und seine Sehnsüchte – »Damals wollte ich heilig werden!« – ernst nahmen. Doch der erhofften Geborgenheit in der Gemeinschaft und der besonderen Nähe zu Gott stellten sich immer neue Hindernisse in den Weg. Ständig wurde ihm suggeriert, er sei noch nicht gut genug, noch nicht würdig genug für den anspruchsvollen Weg der Gemeinschaft. Während unseres Gesprächs verweist er darauf, wie jung und wie leicht zu beeindrucken er gewesen sei. »Das war schleichende Manipulation, das war Gruppensuggestion. Vor allem wollte man mich zu meiner Sexualität aushorchen.« Die Folge seien starke Schuldgefühle gewesen, die ihn bedrückten und verstörten, und vor allem aber, ihn abhängig hielten. »Worum es ihnen ging: Ich sollte meine Verantwortung vor Gott an die Organisation abgeben«. Robert Bilak brauchte zwei Jahre, bis er die Kraft auf [41] brachte, Opus Dei endgültig den Rücken zu kehren. »Noch sechs Monate nach meinem Austritt stand ich unter Schock«, erinnert er sich. Doch sei er letztlich gestärkt aus seinem frühen seelischen Desaster hervorgegangen. Es habe ihn wachsam gemacht, auch gegenüber seinen eigenen Regungen, Wünschen und Abneigungen.
Unser Gespräch eröffnet Robert Bilak jedoch nicht mit dem Bericht über eine Lebenskrise, sondern mit der Realisierung eines Lebenstraums. Mitte der neunziger Jahre hatte er einen fünfgeschossigen Altbau aus der Gründerzeit gekauft. Nach der umfangreichen Sanierung verkaufte er einen Teil der Wohnungen; aus dem Gewinn finanzierte er dann seine eigene Wohnung, ein ausgebautes Dachgeschoss mit Terrasse. »Nach 18 Monaten war es soweit«, erzählt er. »Ich befand mich endlich in meiner Traumwohnung und hätte eigentlich nur glücklich sein müssen. Aber dem war nicht so.« Zunächst fühlte er sich nur unwohl und verunsichert, ohne zu wissen, warum. Ganz anders als früher fühlte er sich tief getroffen, wenn seine Freundin seinen Hang zu Luxus kritisierte. Eigentlich hätte es ihn nicht mehr erschüttern sollen. Er kannte das doch alles schon: Seit er sein eigenes Geld verdiente, hatten seine Eltern mit Kopfschütteln oder düsteren Ermahnungen auf seine angeblich
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