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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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und uneingeschränkt gesagt: ›Es geht mir gut.‹ Es war kein Ziel für sie, dass es ihr gut geht.«
    Ein Versöhnungskind?
    Für ihn als Kind bedeutete Kranksein ein günstiger Zustand. Da wurde er liebevoll umsorgt, da fühlte er sich von seiner Mutter ernst genommen – außer, wenn er Schmerzen hatte. Seine Mutter meinte, die Schmerzen, die er hätte, könnten nie so groß sein, wie die Schmerzen, die sie selbst hätte ertragen müssen. Auch das war wieder ein Hinweis auf den Krieg. Jürgen wuchs mit seinen beiden Geschwistern in einem Einfamilienhaus auf, mit Garten und Hund. Er, der Nachzögling, sei ein Versöhnungskind gewesen – so jedenfalls hätten es ihm seine Eltern dargestellt. Aber er war wohl eher ein Kind der Waffenruhe. »Der Krieg zog sich durch meine ganze Kindheit«, berichtet er. »Immer Kampf, keine Liebe zwischen den Eltern, kein füreinander da sein.« Als Jürgen vor dem Abitur stand, wurde die Ehe geschieden und Mutter Petersen setzte fort, was immer schon ihre Strategie gewesen war: die Kinder auf ihre Seite ziehen, indem sie dem Vater nur Schlechtes nachsagte.
    Jürgens Vater, Jahrgang 1924, Handwerker mit Meisterbrief, arbeitete in einem Großbetrieb. Seinen Sohn hielt er für handwerklich unbegabt. Wenn der Junge nicht auf Anhieb begriff, wie eine Zange zu halten war, gab es keinen zweiten Versuch, sondern es hieß nur noch: »Du kannst das nicht! Das lernst du nie!« Weder ging der Vater auf seinen Sohn zu, noch der Sohn auf seinen Vater, was Jürgen Petersen heute vor allem der Rolle seiner Mutter zuschreibt, die nicht wollte, dass ihre Kinder zum Vater ein gutes Verhältnis hatten.
    Als junger Erwachsener stellte Jürgen Petersen zunehmend [150] fest, wie nahe ihm das Thema Krieg ging. Sah er beim Zappen im Fernsehen unerwartet zerbombte Städte, wurden seine Augen feucht. Noch war ihm nicht klar, dass er Bilder in sich aufnahm, die in ähnlicher Weise auch seine Mutter in sich trug. 1945 war sie 11 Jahre alt gewesen. Aus dieser Zeit existieren keine Fotos von ihr, wohl aber ab 1947; da sah sie, wie ihr Sohn entdeckte, verstört aus. »Ganz anders als auf den Bildern ihrer frühen Kindheit«, sagt er. »Darauf macht sie einen glücklichen Eindruck.«
    Es war für ihn nicht schwer zu erkennen, dass seine Mutter Zeit ihres Lebens durch ihre Kriegserlebnisse verbittert war. Ohne Zweifel war Johanna Petersen ein Opfer, das mit sonderbaren Verhaltensweisen und Pillen die innere Balance zu halten versuchte. Jürgen Petersen weiß, dass Opfer nur in Ausnahmefällen die besseren Menschen sind, häufig sind sie nicht einmal gut für ihre Mitmenschen. Vermutlich ließen Johanna Petersen die seelischen Verletzungen innerlich nie zur Ruhe kommen. Sie kannte das Gefühl von Geborgenheit nicht und konnte es deshalb auch nicht ihren Kindern vermitteln. Jürgen dachte, er werde von ihr nie Details aus der Kriegszeit erfahren, aber da irrte er sich. Eines Tages im Jahr 2006 sagte sie beiläufig, während sie eine Packung Milch aus dem Kühlschrank nahm: »Da war doch die Geschichte mit dem Soldaten. Da war ich sieben.« Ihr Sohn erfuhr, ein Deutscher, ein Wehrmachtsoldat habe sie sexuell missbraucht. Johanna Petersen war über 70 Jahre alt, als sie ihm davon berichtete: Sie habe furchtbare Schmerzen gehabt. Die Sache sei dann vertuscht worden. Beistand von ihren Eltern habe sie nicht erfahren. »Seitdem kann ich keinem Menschen mehr vertrauen«, fügte die Mutter noch hinzu. »Auch dir nicht, meinem Sohn.« Danach sprach sie nie wieder davon.
    [151] Er war ein Einzelgänger
    Seine Mutter hatte ihm mit auf den Lebensweg gegeben, man müsse »mit den Wölfen heulen«. Sie glaubte, mit Eigenwilligkeit bringe man sich selbst nur in Gefahr, denn – so ihre Redewendung – »dann haben die dich auf dem Kieker«. Die Mutter sah sich einer per se feindlichen Umwelt ausgeliefert, einem Dschungel, in dem man sich nur mit allergrößter Vorsicht bewegen durfte.
    Es gibt eindeutige Hinweise dafür, dass Jürgen Petersen schon in jungen Jahren davon Abstand nahm und auf seiner Meinung beharrte, auch dann, wenn sie nicht dem Mainstream entsprach. Er war als Jugendlicher ein Einzelgänger, ein Computerfreak, jemand, der sich nicht irgendeiner Welle anschloss, bloß weil sie gerade Kult war. Auf dem Gymnasium fiel er auf, vor allem durch seinen Intellekt und seine rhetorische Begabung. Bereits mit 14 Jahren wurde er zum Schulsprecher gewählt. Es lässt sich denken, dass ihn diese Rolle überforderte.
    Petersen

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