Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
Vom Netzwerk:
sein Gesicht zeigt verkrampfte Backenmuskeln. Aus fast zusammengepressten Lippen kommt nur ein einziger Satz: »So ist das eben mit der Kunst.«
    Später gibt mir Katharina zu verstehen, diese Szene sei typisch für ihren Vater. Als sie Kind war, sei er häufig unberechenbar wütend geworden. Heute denke sie gelegentlich: Warum explodiert er nicht? Das wäre ihr fast lieber als der scheinbar ruhige Tonfall, der seine Aggressionen verdecken soll. Katharina weiß, sie sollte sich keine Sorgen um ihn machen, aber sie spürt so vieles, was ihn belastet. »Seit ich denken kann, ist das so«, erzählt sie. »Es ist verdreht, aber da ist dieses Gefühl in mir, [196] ich sei für sein Wohlergehen verantwortlich.« Sie hat die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sich ihre Abhängigkeit eines Tages auflösen und sich in der Beziehung zu ihrem Vater noch etwas ändern wird. Von seiner Seite wünscht sie sich weniger Fassade und mehr Einfühlungsvermögen, mehr Offenheit. Eine gute Freundin, sagt sie, berichte Ähnliches von ihrem Vater, nur scheine der inzwischen schon einen Schritt weiter zu sein, denn kürzlich habe er zu seiner Tochter gesagt: »Ich kann mich nicht in dich einfühlen, denn ich kann mich noch nicht mal in mich selber einfühlen.«
    Katharinas Fazit: Ihre Mutter und ihr Vater haben, so gut sie es konnten, versucht, aus ihrer Geschichte auszusteigen. Es ist ihnen nur teilweise gelungen. Nun muss sie schauen, was sie selbst aus dieser Erkenntnis macht. Sie will ihr Leben endlich ohne Angst leben.
    Für den Münchner Psychoanalytiker und Schriftsteller Wolfgang Schmidbauer ist eine Geschichte wie die von Katharina von Thalheim kein Einzelfall. Über die Generation der 68er sagte er in einem Interview: »Sie hatten Zivilcourage, trauten sich alles Mögliche zu und kannten wenige Ängste.« Ganz anders sieht es seiner Ansicht nach eine Generation drunter aus: »Die heute 25- bis 40-Jährigen, zeichnen sich wieder durch vielfache Ängste aus.« Warum das so ist, dazu gab Schmidbauer eine längere Analyse ab:
    Die 68er hatten ja selten ein gutes Verhältnis zu ihren eigenen Müttern und Vätern, weil diese sich dem Nationalsozialismus meist stillschweigend gefügt und einige ihn sogar unterstützt haben. Entsprechend fehlten vielen 68ern auch die Halt gebenden Strukturen der Familie. Deshalb haben sie oft ihre Paarbeziehungen emotional überfordert – und auch die Beziehung zu ihren eigenen Kindern. Manche haben zum Beispiel ihrem 10-jährigen Sohn haarklein alles über ihre sexuellen Probleme erzählt. Und die kommen [197] dann heute als erwachsene Männer in meine Praxis und beklagen sich, dass sie sich an keine Frau rantrauen. Dazu kommt noch ein anderes Problem: Während die 68er wenigstens bei ihren Großeltern Halt finden konnten, gilt das für ihre Kinder heute kaum. Deren Omas und Opas sind ja die Eltern der 68er – und die waren oft entweder selbst durch den Zweiten Weltkrieg traumatisiert oder sie waren wegen des mangelnden Widerstands gegen den Nationalsozialismus in der Familie gänzlich unerwünscht. 18
    Ich habe meine Kindheit genossen
    Zu Beginn dieses Kapitels wurde darauf hingewiesen, wie bunt die Mischung war, aus der sich die 68er-Bewegung zusammensetzte. Doch ging ich davon aus, zumindest bei den Kinderladen-Eltern mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede festzustellen. Was mir dann Corinna Schneider* über Mutter, Vater und ihre frühe Kindheit erzählte, hörte sich völlig anders an als die Schilderungen von Katharina von Thalheim. Das Wichtigste zuerst: Die Biologin, verheiratet, Mutter zweier Kinder, 1968 geboren, versteht sich ausgesprochen gut mit ihren Eltern, und an ihre Kinderladenzeit denkt sie gern zurück. Sie sagt: »Es waren schöne Jahre. Ich habe meine Kindheit genossen und genieße heute das gute Verhältnis, dass ich zu meinen Eltern habe.« Sie spricht nicht nur mit Liebe über Mutter und Vater, sondern auch über ihre beiden Großmütter. Diese hatten je sechs Kinder aufgezogen, fast ohne Beistand ihrer Männer, die beide erst sehr spät und gesundheitlich stark beeinträchtigt aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt waren.
    Corinna Schneider schickt voraus: »Was Mutter und Vater kennzeichnet, ist, dass sie beide praktisch vaterlos aufwuchsen«. Als APO-Eltern sei ihnen in der Erziehung die Präsenz der Väter sehr wichtig gewesen. Das Verhältnis 50 zu 50 sei zwar [198] selten erreicht worden, aber im Vergleich zur vorherigen Generation hätten sich die Väter sensationell viel

Weitere Kostenlose Bücher