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Kriegsenkel

Kriegsenkel

Titel: Kriegsenkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Bode
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angestellt. Darauf, sagt ihr Sohn, sei sie Zeit ihres Lebens stolz gewesen. Aber für die junge Frau aus Ostpreußen hatte das Rheinland noch mehr zu bieten: In einem Tanzcafé lernte sie Hans Glaser*, ihren späteren Mann, kennen. Damit begannen für Ursula die guten Jahre.
    Im Jahr 1957 – die Sowjetunion hatte gerade als ersten Satellit ihren Sputnik ins All geschickt – wurde geheiratet. Jochen zeigt mir ein Foto von der standesamtlichen Trauung. »Da sieht man, wie verliebt mein Vater meine Mutter anschaut.« Eine gute Partie war der zwei Jahre jüngere Fabrikarbeiter nicht. Doch er sah blendend aus, er besaß großen Charme, und er lachte gern. Seine gute Laune war ansteckend. Der Mann, der sie zum Lachen brachte, wendete Ursula Glasers Leben zum Guten. Ihre Erinnerungen an schwere Zeiten verblassten. Hans Glaser war eine rheinische Frohnatur mit großem Unterhaltungstalent. Egal, welchen Raum er betrat, er stand in kürzester Zeit im Mittelpunkt. »Keiner konnte so gut Witze erzählen wie Vater«, sagt Jochen stolz. »Davon erzählen sie in der Verwandtschaft noch heute.«
    Hans Glaser lebte und starb in der Kleinstadt, wo er 1933, im Jahr der Machtergreifung, auf die Welt gekommen war. Hier wurde er eingeschult, hier ging er zu den Treffen der Hitlerjugend, woran er sich später gern erinnerte, weil sie Abwechslung im Alltagstrott bedeutet hatten. Sein Vater hatte eine sichere Stelle – ein Glücksfall für die Familie in Zeiten großer Arbeitslosigkeit. Er war Buchhalter bei der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), einer Gründung der NSDAP, [266] nachdem die Arbeiterwohlfahrt verboten worden war. Für das Kind Hans Glaser bedeutete Krieg vor allem Luftkrieg über Jahre hinweg. Die mittelalterliche Innenstadt wurde komplett zerstört. Im letzten Kriegsjahr wurde sein Vater noch eingezogen. Der Buchhalter kam zur Waffen-SS – nicht freiwillig, wie sein Enkel glaubt, sondern als Folge eines Zwangseinzugs. Bei Kriegsende geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Jochen Glaser weiß darüber nichts Genaues: »Großvater war ein freundlicher, stiller Mann. Er hat nie darüber gesprochen.« Seinem Enkel ist bekannt, dass gefangene Angehörige der Waffen-SS mit den Leichenbergen in den befreiten Konzentrationslagern konfrontiert wurden. Die Amerikaner zwangen sie, die Toten zu bestatten. Angeblich war der Großvater im KZ Dachau gewesen. Jochen kennt seine Entnazifizierungsakte; dort ist er als »Mitläufer« eingestuft. Sein Wunsch war, weiter im öffentlichen Dienst zu arbeiten, aber er wurde nicht übernommen. Zu begreifen ist das nicht, wenn man bedenkt, dass die bundesrepublikanische Justiz keinerlei Probleme mit der Übernahme von ehemaligen Nazi-Richtern hatte. Wollte die Verwaltung seiner Stadt, in der jeder jeden kannte, grundsätzlich keine früheren NSV-Leute in ihren Reihen haben? Befürchtete man, sie könnten den Betriebsfrieden stören? Gab es alte Rechnungen zu begleichen? Familienforschung im Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit fördert häufig Ungereimtheiten zu Tage, die nach so vielen Jahrzehnten nicht mehr geklärt werden können. Fest steht: Der Großvater wurde Fabrikarbeiter, wie später auch dessen Sohn Hans. Die Männer arbeiteten in drei Schichten. Beide starben jeweils mit Anfang fünfzig an Lungenkrebs.
    [267] Der Abstieg einer Familie
    Jochen, der letzte in der Generationenkette, schildert seinen Vater als einen unpolitischen Menschen. Dass der als Kind an den Führer glaubte, ist sehr wahrscheinlich, denn etwas anderes als NS-Propaganda lernte er nicht kennen. Zwölf Jahre war er alt, als der Krieg verloren war, als – zumindest aus der Kinderperspektive – das Volk der vermeintlichen Sieger von einem Tag zum anderen zu einem Volk der Bettler wurde, als sein Vater beruflich abstieg, als aus der bürgerlichen Familie eine Arbeiterfamilie wurde. Darüber hat Hans Glaser später nicht geredet. Ob er überhaupt Worte dafür gefunden hätte?
    Er entwickelte keinen beruflichen Ehrgeiz. Die Schulnoten seiner beiden Söhne interessierten ihn nicht sonderlich. Er fand, es reiche aus, seinen Lebensunterhalt zu verdienen – darüber hinausgehende Anstrengung lohne sich nicht. Es ginge viel mehr darum, die guten Seiten des Lebens zu genießen. »Genau genommen war Vater sehr bequem «, stellt Jochen fest. Wenn Hans Glaser etwas gelernt hatte aus den schwierigen Zeiten, als alles zusammenbrach, dann dies: dass vorausschauendes Planen nichts bringt. Seine Lebensphilosophie

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