Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
sozial und politisch degradiert, zu pünktlichem Tribut verpflichtet. Sie durften keine neuen Kirchen bauen, niemand am Übertritt hindern, nicht gleiche Tracht und Frisur wie die Muslime tragen. Aber sie genossen (eine gewisse) Kultusfreiheit. Und vor allem: sie lebten in Frieden. Die koptische Kirche in Ägypten regenerierte sich geradezu unter dem Islam, die Monophysiten in Armenien wurden durch ihn gegen die verhaßten Griechisch-Orthodoxen geschützt, die syrischen Jakobiten sollen nun zeitweise über hundert Bischofssitze verfügt, syrische Christen seit langem hohe Ehrenstellen bei muslimischen Fürsten eingenommen haben. Der Nestorianismus vollendete seine Blüte und missionierte höchst erfolgreich bis Ägypten, Indien und Ostchina. 23
Die byzantinischen Kaiser dagegen hatten die christlichen Dissidenten, die nestorianische, jakobitische, koptische Kirche als »Ketzer« jahrhundertelang gedemütigt und heftig verfolgt. Unter den Arabern aber genossen diese Christen, ebenso die Juden, religiöse Duldung. Und sie mußten den Mohammedanern, die deshalb nicht um ihre Weltherrschaft bangten, auch geringere Steuern zahlen als den Byzantinern. Nur selten wurde die Koexistenz beeinträchtigt, kam es zu Belästigungen. Vielmehr blühte der Handel mit überseeischen christlichen Ländern, herrschte Wohlstand weiter in Jerusalem gerade durch den Besuch westlicher Pilger. 24
Der Islam kannte zwar aus dem Koran den »Dschihad«, den »heiligen Krieg«, praktizierte ihn zunächst jedoch nicht. Sein Vorstoß gegen Byzanz – oft übrigens mit christlichen (monophysitischen) Hilfstruppen –, sein Siegeslauf bis nach Spanien waren »rein politische Expansionen« (Kühner), wobei man freilich auch grausam vorging, die Männer ausgerottet, Frauen und Kinder versklavt hat, ganz wie in den heiligen und unheiligen Kriegen der Juden und Christen. Im vollen Umfang wurde der »heilige Krieg« im Islam erst durch die Kreuzzüge proklamiert. Doch daneben gab es, wie in der Bibel, auch schöne tolerante Sprüche im Koran, etwa: »Es sei kein Zwang im Glauben.« So befahl schon Mohammed, stark unterscheidend zwischen Heiden und »Schriftbesitzern«, Toleranz gegenüber Juden und Christen, die sich politisch dem weltlichen Arm des Islam unterwarfen. Man schloß mit Christen förmliche Verträge. Und man war duldsam auch gegenüber den Anhängern des Zarathustra.
Toleranz im Zeitalter des frühen Islam, so sagt einer der besten Kenner dieser Geschichte, Aziz S. Atiya, sei in ihrer Großartigkeit noch nirgends dargestellt worden; »sie ist sehr bemerkenswert und wird von den Historikern im allgemeinen geleugnet oder übersehen«. Erst unmittelbar vor Beginn der Kreuzzüge änderte sich dies durch den Machtwechsel in Jerusalem. 25
In den Predigten des Papstes, der nicht nur in Clermont, sondern auch sonst in Frankreich und Italien zum Kreuzzug aufrief, sah dies freilich alles anders aus. Und ebenso oder noch mehr in den Agitationen anderer frommer Propagandisten.
Vorbilder für die klerikale Kriegshetze waren die »Helden« des Alten Testaments, Josua (I 83 f.), David (I 85 ff!), Judas Makkabäus (I 107 ff.) u.a., die ja fast durch das ganze Jahrtausend schon entsprechend wirkten. Noch effizienter wurden nun die Kriegspatrone, gewisse Soldatenheilige, deren Leben dem Blut- und Schlachthandwerk galt, wie Mauritius oder Sebastian. Dazu kamen Länderpatrone, für Frankreich der hl. Dionys, für Deutschland der hl. Mauritius, für Spanien der hl. Jakobus, »Santiago«. Und schließlich lieferte die byzantinische Kirche ihre viel älteren Kriegsheiligen zur Aufpulverung der Abendländer, besonders Demetrius, Sergius oder Theodor, den die Legende gleich verdoppelt hat, indem sie einen Heerführer und einen Rekruten präsentierte. Vielleicht die fulminanteste Rolle aber als Schlachtenhelfer spielt der von Heroentum nur so umstrahlte »Ritter St. Georg«, der vor allem als Fahnenträger des Kreuzfahrerheeres figuriert.
Aufwieglerische Flugblätter liefen bald um, auch reine Fälschungen. Und verlogene Wanderprediger, Demagogen, die besonders Frauen und Jugendlichen die Köpfe verdrehten, traten in die Fußstapfen des Papstes und peitschten das Volk in eine regelrechte Kreuzzugshysterie.
Das berühmte Rolandslied, gegen 1100 vermutlich von einem Geistlichen im Norden Frankreichs verfaßt, spiegelt diesen seinerzeit in Europa fast vergleichslosen Glaubens- und Kriegsfanatismus. Karl »der Große« (vgl. IV 465 ff.) ist der erste Kreuzfahrer,
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