Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
erstmals 567 auf dem Konzil in Tours vom Zehnt gesprochen, 585 auf der Synode von Mâcon, sehr bezeichnend, jeder, der ihn verweigert, mit immerwährender Exkommunikation bedroht, was spätere Synoden, in Pavia, in Valence u.a., wiederholen. Noch 1322 bestimmt die Synode von Valladolid durch den Mund des päpstlichen Kardinallegaten Wilhelm von Godin und »mit Zustimmung des heiligen Concils« den Ausschluß von Gläubigen, »die Pfarrer und Prälaten in Betreff des Blut-und Novalzehnten betrügen«. Die Synode von Toledo (1323) mahnt: »Der Zehnte soll ganz entrichtet werden«. Die Synode von Salamanca (1335): »Es wird verboten, daß die Kirche um den Zehnten betrogen, daß ihre Einkünfte weggenommen werden«.
Anfangs brachte man offenbar die »Decima« zur Kirche, wobei der Zehntpflichtige häufig schwören mußte, das richtige Maß ausgehändigt zu haben. Später wurde es üblich, die Zehnten durch Einsammler (Decimatoren), die wiederum eidlich zur gewissenhaften Ausübung ihres Amtes verpflichtet waren, unmittelbar auf dem Feld zu erheben. Doch gab es auch eine Ablieferung in barem Geld (redemptio decimae), wobei meist die Kirche die Form der Zehntleistung entschied; bei Geldentwertung dürfte sie, war die Zahlung nicht der Entwertung entsprechend zu erhöhen, auf Abgabe in natura bestanden haben.
Die neben der Dreiteilung kanonisch gewöhnlich geforderte Vierteilung – an Bischof, Pfarrer, Pfarrkirche und Arme – stand mehr auf dem Papier und wurde weder von Päpsten noch Bischöfen befolgt, die das meiste einheimsten, bereits zu den reichsten Großgrundbesitzern gehörten, während die Armen zweifellos am wenigsten bekamen (in Frankreich oft bloß den zehnten Teil).
Liest man freilich die Lebensbeschreibungen mittelalterlicher Bischöfe, findet man deren Armenfürsorge oft über die Maßen gepriesen, erscheint selbst ein Mann wie der hl. Anno von Köln – ein Brutalist, der nur an sich, an die eigene Macht denkt, der seine Diözesanen geißeln, verstümmeln, blenden läßt (VI 217 ff!) – nicht bloß »von bewundernswerter Heiligkeit«, »staunenerregender Tugendhaftigkeit«, als »Verächter alles Irdischen« etc., sondern natürlich auch als »Diener der Armen« (pauperum servus). Tatsächlich sind das Worthülsen, schamlose Übertreibungen, sind die meisten Beteuerungen großer bischöflicher Armenbetreuung mit der gleichen Skepsis aufzunehmen wie die mittelalterlichen Wundergeschichten. Und wo man wirklich half, selbst über das Normale hinaus, war es doch nur wie ein Tropfen auf dem heißen Stein, war es nicht zuletzt gut für die Reputation, für die auch (andere) christliche Geschäftsleute sorgten, Augsburger Weltfirmen etwa, die dann Stiftungen, eigene Konten einrichteten; die Höchstetter nannten das »unseres Herren Hauptgut«, die Welser »Konto unseres Heilands und seiner Armen«, die Fugger »Konto St. Ulrich«.
Ganz beiseite, daß zu den Armen auch Mönche und Nonnen zählten, die seit ottonischer Zeit als Zehntempfänger nicht unbeträchtlich hervortraten. Und Rom erhob den Zehnten noch in Dänemark, Island, ja im armen Grönland (anno 1326 in Form von Walroßzähnen). Man forderte, zumindest zeitweise, den Zehnten – – gelegentlich sogar auf das kärgliche Ährenlesen ausgedehnt – selbst von den Sklaven, ja noch von den gänzlich isolierten, aus der Gesellschaft verstoßenen »lebenden Leichnamen«, den Leprosen!
Alle Reichsbewohner hatten unter den Karolingern den zehnten Teil ihrer landwirtschaftlichen Erträge der Kirche zu geben, die unter Karl – der erstmals 779 in Herstal für Zehntverweigerer auch weltliche Strafen festsetzt – und unter Ludwig dem Frommen noch das Recht auf einen »Neunten« (nona), also auf einen zweiten, einen Doppel-Zehnten (dezima et nona), auf ein Fünftel des gesamten Ertrags bekam. Noch im Frühmittelalter wurde so die Kirche, auch infolge zahlreicher steuerlicher Immunitäten sowie dank der Vergabungen von Gläubigen und der Pilgerspenden die erste Finanzmacht im Reich.
Auch in Italien, wo der Klerus seinerzeit eine außerordentliche Machtstellung gewann (auch durch Verdrängung der Grafen in vielen Städten) und die Immunität bald derart mit den Kirchengütern verbunden war, daß man diese geradezu immunitates nannte. Die Bischöfe, gegen die sich die Städte erhoben, Cremona, Mailand, Pavia, Bergamo, Brescia, erhielten zudem immer neue Regalien, das heißt dem König zustehende Gerechtsamen wie Forstbann, Wildbann, Münzrecht, Marktrecht,
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