Kris Longknife: Unter Quarantäne: Roman (German Edition)
einem zweiten Blick förmlich auszogen. Sie spürte deren Finger noch lange danach über den eigenen Körper wandern, während die über die Schultern geworfenen Blicke ihre Maße für eine Matratze nahmen. Kris schluckte schwer; diese Verkleidung war ihr in einem warmen Hotelzimmer so logisch erschienen. Ich bin eine dieser Longknifes. Ich bin Offizier der Raumflotte, eine Prinzessin mit einem Billionenvermögen und trage gepanzerte Unterwäsche.
Trotzdem fühlte sie sich in dieser Aufmachung schlechter als ein Bettler.
Wie war das für die Frauen, die wirklich nur über einen Hintern ihren Weg zu einem Dach für die Nacht und einer Mahlzeit für morgen fanden? Sie sah sie, andere Frauen, die an Straßenecken standen oder benommen in den Armen von Männern einhergingen. Ihre Blicke begegneten Kris’ Blick und sie glitten davon ab wie das Wasser, das ihnen über die Gesichter lief.
Kris hielt sich an Jacks Arm fest und lachte künstlich über einen Witz, den ihr Jack gar nicht ins Ohr geflüstert hatte. Dabei hoffte sie, dass keiner der einsamen Männer oder der Gruppen von Männern Jacks Recht in Frage stellte, sie in dieser Nacht zu haben.
Die erste der Mietwohnungen befindet sich im Haus gegenüber, meldete Nelly. Kris gab die Information an Jack weiter; auf eine halbtrunkene Art schwenkte er Kris unsicher herum.
»Schätze, bei diesem Regen sollten wir uns ein Zimmer besorgen, Honigmäulchen«, sagte er.
»Wir haben ein Problem«, warf Penny ein, die zu ihnen aufschloss. »Die Fahrstühle in diesem Haus funktionieren nur, wenn man einen Schlüssel hat.«
Nelly, kannst du uns dabei helfen?
Das denke ich nicht. Das Gebäude ist nicht am Netz. Es ist entweder autark oder hat einen sehr niedrigen technischen Standard.
»Sieht so aus, als müsste Jack ein Zimmer für uns mieten«, flüsterte Kris. Sie war so weit gekommen und nicht bereit, mit leeren Händen zurückzukehren. »Wir können ein Zimmer für eine Stunde mieten«, sagte sie zu laut und ihrer Rolle gemäß. »Vielleicht dreißig Minuten, wenn du richtig schnell bist.«
Jack stolperte trunken, raffte sich wieder auf und bedachte sie mit einem triefäugigen Grinsen. »Darauf kannste wetten, Süße.«
Während sich Kris unsicher den Weg über die leere Kreuzung suchte und ebenso darauf bedacht war, den rings um die Schlaglöcher wachsenden Seen auszuweichen wie der eigenen Rolle gerecht zu werden, bekam sie einen guten Eindruck von vier Häuserblocks in Katyville. Daran war nichts Gutes festzustellen.
Hier und dort befanden sich geschwärzte Gebäude im Zustand des Verfalls. Andere verrieten in Form geborstener Fenster, dass sie eigentlich verlassen waren, auch wenn hinter mehreren leeren Fenstern mattes Licht brannte. Waren Menschen so verzweifelt, dass solche Häuserwracks noch ihre beste Chance darstellten, der Nachtkälte zu entrinnen?
Die noch bewohnten Häuser schienen von einer Art Krebs befallen. Was einmal eine Veranda an Front- oder Rückseite gewesen war, hatte jemand mit Brettern zugenagelt und so ein behelfsmäßiges Zimmer geschaffen. Oft lehnte auch ein Schuppen daran und verriet durch spärliche Beleuchtung, dass er ebenfalls bewohnt war. Fand man auf Wardhaven auch Bauinspektoren, die bei solchen Verstößen gegen die Bauvorschriften ihres Vaters den Blick abwandten?
Ein weiterer Gedanke ging ihr durch den Kopf: Gingen gerade jetzt Mädchen in einer Aufmachung, wie sie sie trug, die abgelegenen Gassen von Wardhaven City entlang? Kristine Anne Longknife, Wahlkampfmanagerin und Inhaberin eines verdammt großen Immobilienbesitzes, konnte darüber nur spekulieren. Auf einmal schmerzte das mehr als der Regen und die Scham und das Risiko, das sie hier einging. Kris knirschte mit den Zähnen. Sobald Tommy erst mal wieder bei der Navy in Sicherheit war, würde Prinzessin Kristine ein paar Bälle ausfallen lassen, bis sie die richtigen, wahren und vollständigen Antworten auf die Fragen des heutigen Abends gefunden hatte.
Das Sanderson Arms hatte vielleicht mal eine Empfangshalle gehabt, aber inzwischen war das Erdgeschoss in weitere Kämmerchen unterteilt worden. Ein tristes Stück Teppich mit zwei kaputten Stühlen beanspruchte eine winzige Fläche vor einem Empfangsschalter und einem Portier, der auch schon bessere Tage, Wochen und Jahre erlebt hatte. Vielleicht Jahrhunderte.
»Haben Sie ’n Zimmer?«, fragte Jack undeutlich.
»Sind voll belegt.« Der Portier blickte nicht mal auf.
»Warum sind S’e hier, wenn S’e mir kein
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