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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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nicht, was er tun sollte. In irgendeinem Winkel seiner Seele war der Wunsch, seine Hand nach dieser Tochter auszustrecken, die ihm so sehr ähnelte. Er wollte sie festhalten und in sein Leben bringen und wissen, dass er etwas auf dieser Welt richtig gemacht hatte, bevor er starb.
    Aber er hatte Angst. Was für ein Vater konnte er denn sein? Er war Alkoholiker, der gerade mit dem Trinken aufgehört hatte, ein Drogensüchtiger, der Schluss gemacht hatte. Er konnte jede Sekunde tot umfallen, durch das Versagen des Herzens eines anderen Mannes.
    Wohl schwerlich das beste Vorbild für ein verwirrtes sechzehnjähriges Mädchen.
    Es gab keinen Zweifel daran, dass er sie hängen lassen würde. Überhaupt keinen Zweifel.
    Deprimiert von seiner eigenen Unzulänglichkeit, griff er nach dem Nachttisch und schaltete das Radio ein, das Madelaine ihm gegeben hatte. Heavy-Metal-Musik plärrte ihm entgegen und er zuckte zusammen. Ohne zu überlegen, drehte er den Tuner weiter, bis die klangvolle Melodie des »Phantoms der Oper« aus den winzigen Lautsprechern drang.
    Er spürte, dass ein friedlicher Schauer ihn erfüllte. Die Wut und die Furcht, die seinen Magen seit gestern verkrampft hatten, begannen zu weichen. Er legte sich auf die Kissen zurück, ließ die Musik den Raum erfüllen und sein wundes Herz beruhigen.
    Sei ihr Freund, Angel.
    Es war die Stimme seines Bruders, die durch die Musik zu ihm sprach.
    Angel richtete sich müde auf, stemmte sich auf den Ellenbogen hoch. Sei ihr Freund.
    Es war genau das, was Francis gesagt haben würde, wenn er noch lebte. Francis wusste immer, wie man im Leben das Richtige tat, und er hatte es immer getan. Ganz ruhig, ohne Aufhebens davon zu machen, ohne Gewissenskonflikte oder irgendwelche Fragen.
    Ob Angel so sein könnte? Es auch nur versuchen könnte?
    Damals - vor der Operation - wäre die Antwort darauf mit blendender Schnelligkeit gekommen, hätte jede Neigung, gut zu sein, zermalmt. Er hätte gewusst, dass er sich einer solchen Verpflichtung nicht stellen konnte. Er hätte gelacht über den bloßen Gedanken, es auch nur zu versuchen.
    Aber jetzt, wo er hier lag und der Musik lauschte, überlegte er. Vielleicht hatte sein Herz jemandem gehört, der gut gewesen war. Vielleicht gab ihm das neue Herz eine Chance, die sein altes Herz ihm nicht zugestanden hätte.
    Er sollte über die Absurdität dieses Gedankens lachen. Er wusste, dass das Herz nur ein Organ war, nicht das Lagerhaus der Seele oder irgend so ein Unsinn. Und doch, egal, wie oft er sich das sagte, konnte er es nicht ganz glauben. Seit der Operation hatte er begonnen, anders zu fühlen. Er hatte einen anderen Musikgeschmack, bevorzugte anderes Essen. In der einen Minute noch war er so wütend wie früher und dann geschah etwas - er brauchte nur ein trauriges Lied zu hören oder in den Regen hinauszuschauen - und er wusste, dass da etwas Neues in ihm war. Ein winziges Fädchen von Gutem, das zusammengerollt bei dem Schlechten lag. Es beängstigte ihn, dieses Gefühl, dass er in seinem Körper nicht mehr allein war, aber es faszinierte ihn auch. Mit jedem Schlag des Herzens des Fremden spürte er ein winziges Aufflackern von Fähigkeiten, das, verdammt, fast an Zauberei grenzte.
    Er wollte, dass all sein Schmerz und sein Leiden einen Sinn hatten. Madelaine und Chris und Hilda und Tom Grant, sie alle hatten ihm gesagt, dass er eine zweite Lebenschance bekommen hatte. Vielleicht konnte er endlich etwas ändern.
    Er wollte das plötzlich, wollte es so sehr, wie er noch nie etwas gewollt hatte.
    Es war ein gutes Gefühl, etwas zu wollen, ein Ziel zu haben. Davon hatte er, wenn er ehrlich war, nicht allzu viele in seinem Leben gehabt. Er hatte nie mehr gewollt als die nächste Filmrolle oder die nächste Frau oder den nächsten Drink.
    Er hatte erstaunlicherweise das Gefühl, als werde er endlich erwachsen.
    Er war so sehr in Gedanken versunken, dass er eine Sekunde brauchte, um zu merken, dass jemand an seine Tür klopfte. »Herein«, sagte er.
    Madelaine kam durch die Tür. Für einen Sekundenbruchteil hätte er sie fast nicht erkannt. Sie trug ausgebeulte Levi's und eine übergroße grüne Strickjacke, die schon bessere Tage gesehen hatte. Ihr Haar hing schlaff um ihr Gesicht, kein Make-up verdeckte die Blässe ihrer Wangen.
    »Hi, Angel«, sagte sie leise und trat neben sein Bett.
    Er blickte zu ihr auf und spürte ein Ziehen in der Brust. Sie wirkte traurig und verloren, ganz anders als sonst. Früher hätte er diese Zeichen

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