Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Problemen davonzulaufen. »Ich kann das nicht, Mad. Ich bin nicht dazu geschaffen, Vater zu sein.«
Sie wollte etwas sagen, tat dann aber stattdessen etwas Seltsames. Sie streckte eine Hand aus und legte sie auf seine Brust. Er spürte die Wärme ihrer Berührung durch den dünnen Stoff seines Krankenhaushemdes, durch die Gazeschichten, die seine Narbe bedeckten. »Oh, Angel«, sagte sie und beugte sich näher, so nahe, dass er die silbernen Lichter in ihren grünen Augen sehen konnte, so nahe, dass er den feinen Duft ihres Haarsprays riechen konnte. »Du hast das in dir. Glaube mir.«
Er war von ihren Augen hypnotisiert. Er dachte verrückterweise, dass ihm ihr Blick irgendwie vertraut vorkam, aber das musste Jahre her sein. Er konnte sich einfach nicht erinnern ...
»Ich werd's versauen«, sagte er, versuchte, den Zauber zu brechen.
»Dann werde ich Hackfleisch aus dir machen.«
Er wusste, dass sie es diesmal ernst meinte, und er begriff plötzlich, welches Risiko sie einging. Sie liebte Lina und sie hatte Angst, dass Angel alles verderben und ihre Tochter verletzen würde. Er wusste auch, dass er das, wenn er das tat, niemals wieder gutmachen könnte. Niemals würde es eine zweite Chance geben.
»Ich will nicht, dass sie etwas von der Transplantation weiß -sie wird mich wie ein Monster behandeln.«
»Nein, das wird sie nicht. Aber es ist deine Entscheidung, wann - und ob - du ihr von der Operation erzählen willst.«
»Wie soll ich mich verhalten? Was soll ich tun?« »Sie liebte Francis wie einen Vater und sie leidet, weil er tot ist. Sie braucht jemanden, der ihr zuhört, dem wichtig ist, was sie denkt und fühlt. Das wäre schon einmal ein Anfang. Sei ihr Freund.«
Er lächelte sie nervös an. »Das ist das, was Franco ... gesagt haben würde.«
»Ja«, sagte sie und ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Sie blickte ihn erwartungsvoll an und ihre Augen strahlten.
Sei ihr Freund.
Kapitel 21
Lina ging auf dem stillen Korridor der Intensivstation auf und ab. Dann und wann sagten eine Krankenschwester oder ein Arzt hallo, und sie war gezwungen, aufzuschauen und etwas als Antwort zu murmeln, doch davon abgesehen bewegte sie sich einfach ständig.
Hilda kam über den Korridor geeilt und tippte ihr auf die Schulter. »Du läufst ja wie eine gefangene Katze herum, Süße. Was ist los?«
Lina sah sie kaum an. Es kostete sie ihre ganze Selbstbeherrschung, still zu stehen. Sie kannte Hilda fast ein Leben lang und liebte sie, aber im Augenblick war sie zu nervös, um auch nur zu plaudern. Sie erinnerte sich ein wenig spät daran, dass Hilda ihr eine Frage gestellt hatte, aber ihr fiel nicht mehr ein, was sie gefragt hatte.
Hilda musterte Lina mit ihrem typischen Blick von Kopf bis Fuß und lachte dann in missbilligendem Tonfall. »Meine Tochter ist Kosmetikerin, wie du weißt. Sie könnte mit deinem Haar wahre Wunder vollbringen.«
Die OP-Schwester hatte ihr schon seit sehr vielen Jahren Kosmetiktipps aufgetischt. Jedes Mal, wenn sie Lina sah, kam sie schnell zu ihr, zwickte sie in die Wange, schüttelte den Kopf und murmelte etwas darüber, wie hübsch Lina doch mit ein bisschen weniger Make-up sein könnte.
Normalerweise lachte Lina über Hildas nicht ganz ernst gemeinten Rat.
Heute nicht.
Ihr Vater würde sie in wenigen Sekunden zu Gesicht bekommen. Was, wenn er sie hässlich fand?
Sie stöhnte auf, steckte die Hände in die Hosentaschen, drehte sich schnell um und lief los, ließ Hilda einfach mit offenem Mund stehen. Sie rannte zum Büro ihrer Mom und schlich sich hinein, schlug die Tür hinter sich zu. Sie eilte zu dem antiken viktorianischen Spiegel neben dem Bücherschrank und schaute in das Glas.
Das Mädchen, das sie anstarrte, sah blass aus und hatte verquollene Augen, die Folge von zu wenig Schlaf. Ihr Haar stand in Tausenden ungleichmäßiger Stacheln ab. Durch den schwarzen Lidstrich, den sie unter den unteren Wimpern gezogen hatte, sah sie aus, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen.
Wieso hatte sie das vorher nie gesehen?
O Gott, dachte sie in einem plötzlichen Anflug von Panik. Mein Daddy wird mich für abgrundtief hässlich halten.
Sie durchwühlte die Schublade des Schreibtisches ihrer Mutter und zog einen Kamm heraus, versuchte, ihre Frisur in Ordnung zu bringen. Aber das nützte nichts.
Als sie wieder vor den Spiegel trat, spürte sie, wie die Furcht sich verstärkte. Sie sah noch immer wie eine dieser Ausreißerinnen aus, die man zuweilen nach Einbruch der
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