Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Francis auf ihn zu, schwebte über dem von Blumen durchsetzten Gras.
Er konnte das Lachen seines Bruders in der leichten Brise hören, das sich mit dem Zwitschern der Vögel vereinte, dem Flüstern der Blätter, und Angel merkte, dass er selbst auch lachte.
Plötzlich wurde die Welt still. Die Vögel verschwanden und der Wind legte sich. Alles, was er hören konnte, waren ihre beiden Herzen, die wie Schnellfeuergewehre klangen.
Ohne nachzudenken, streckte er eine Hand aus. Er spürte, dass Francis seine Hand nahm, spürte die warme Kraft des Griffes seines Bruders und fühlte sich geborgen und sicher. Ihre Herzen schlugen synchron, wurden zu einem einzigen Schlag auf dieser stillen Wiese.
Ich habe nicht viel Zeit.
Angel hörte die Worte seines Bruders, obwohl Francis' Lippen sich nicht bewegt hatten.
»Bleib«, flüsterte Angel verzweifelt. »Ich habe dir so viel zu sagen.«
Die Worte sind unwichtig.
»Und ob, das weiß ich jetzt. Bleib.«
Doch Francis schwand bereits. Sein Bild schimmerte und er löste sich von ihm.
Er lief Francis nach, streckte wieder die Hände aus, versuchte, das Bild zu halten, aber es bewegte sich schneller als er, verschwand in den dunklen Schatten der Bäume.
Und Angel war allein. Der Himmel über ihm wurde dunkel und hässlich, warf ein düsteres Leichentuch auf das Feld, begrub die Blumen und das Gras.
»Angel?«
Er hob sein Gesicht zum Himmel und starrte auf die "Wolken, die sich zusammenballten. Komm zurück, Francis, komm zurück ...
»Angel?«
Er erwachte jäh und sah, dass Madelaine neben seinem Bett stand. Er starrte zu ihr auf. Sein Atem kam in tiefen, heftigen Stößen. »H... hi, Mad.«
Sie zog einen Stuhl heran. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Nein«, erwiderte er, ohne nachzudenken, und warf seine Verwundbarkeit auf die Decken zwischen ihnen. Fast hätte er das zurückgenommen und gesagt: Ja, Teufel, ja. Aber dann sah er in ihre graugrünen Augen und er begriff, dass er das Lügen satt hatte, es leid war, die Wahrheit zu verheimlichen. Gestern hatte er das Gefühl gehabt, ganz kurz das gelobte Land gesehen zu haben, heute aber fühlte er sich wieder verloren. Einsam und vergessen und krank. Die Träume von Francis brachten ihn um.
»Nein«, sagte er wieder, leiser dieses Mal. »Es geht mir nicht gut. Ich träume ständig von Francis. Es ist nicht normal. Es ist, als ob ... als ob er in mir sei. Ich fühle ihn die ganze Zeit. Ich höre, wie er zu mir spricht. Manchmal denke ich sogar so, wie er gedacht hat.«
»Du könntest niemand Besseren in dir haben, Angel.«
»Ich weiß.« Er seufzte. »Gestern sagte er in meinem Traum zu mir >lebe für mich<.« Er schluckte schwer. »Wie könnte ich das tun - leben für einen Mann wie ihn? Er war so viel besser, als ich je sein werde.«
Sie beugte sich näher zu seinem Bett. »Du hast die zweite Chance bekommen, die er nie hatte, Angel. Nur du kannst entscheiden, was du damit anfangen wirst.«
»Oh, großartig. Jetzt lade mir noch ein bisschen Schuld auf.«
»Nicht Schuld. Hoffnung.«
Er griff nach der Patientenkarte, die neben seinem Bett lag. »Wie viel Hoffnung kann ich haben, wenn dies mein Leben ist?«
»Hör endlich auf, so melodramatisch zu sein. Diese Karte ist nicht dein Leben - darin steht nur, was du tun musst. Die Regel für dein neues Leben. Die Medikamente, die du einnehmen musst - täglich, wie ich hinzufügen möchte, wenn du den nächsten Sonnenaufgang erleben willst -, und die Lebensmittel, die du essen sollst. Die Übungen, mit denen du beginnen musst. Die Termine der Untersuchungen und Tests in den nächsten sechs Monaten. Ein ganz einfacher Terminplan. Normale Menschen folgen dem täglich.«
»Oh, ich kann's gar nicht erwarten.«
»Zu schade, dass du heute in so schlechter Stimmung bist. Ich habe nämlich eine Überraschung für dich. Da ist jemand, den ich dir vorstellen möchte.«
»Wenn du mich wieder mit diesem verdammten Seelenklempner zusammenbringst, werde ich deine Terminpläne aus dem Fenster werfen.«
»Keine Psychiater, keine Physiotherapeuten, keine Krankenschwestern. Nur ein sechzehnjähriges Mädchen.«
Angel erstarrte. Er hörte das Dröhnen seines Herzschlages in den Ohren und dieses Geräusch löste Panik in ihm aus. Dann folgten Francis' Worte. Sei ihr Freund.
Er wollte es. Gott, er wollte es, aber er hatte Angst. Er war jemand, der alles versaute, aber dies war wichtig. Das war keine Sache, die man mal eben so einfach angehen konnte, bereit, beim ersten Anzeichen von
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