Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
begonnen. Spärlicher, tröpfelnder Regen fiel auf sie und in glitzernden Tropfen auf ihren Lenker. Wind zerrte an ihrem Haar und stach ihr in die Augen.
Mit jedem Kilometer spürte sie, wie die Träume über ihren Vater, die sie sich ausgemalt hatte, von ihr glitten. Sie war eine Idiotin gewesen, an ihn zu glauben, zu glauben, dass irgendein Fremder in ihr Leben treten könne und ihr Daddy sei. Sie hätte es besser wissen müssen ...
Ich fürchte, er wird dir das Herz brechen.
Wieder hörte sie die Warnung ihrer Mutter und es gab ihr noch mehr das Gefühl, dumm und naiv zu sein. Lina wusste es besser - sie wusste, dass Träume nicht immer Wirklichkeit wurden. Hatte sie das nicht immer gewusst? Warum war sie nur so dumm gewesen?
An der Laurel Street erinnerte sie sich an die Samstagnacht-Partys, die eine Institution im Quilcene Park waren. Sie bog nach links ab und raste den Hügel hinunter. Zehn Minuten später bog sie um die letzte Ecke und sauste auf die Zufahrtsstraße des alten Parks. Ihre dünnen Reifen holperten über die Furchen in der Straße. Die Finger klammerten sich erstarrt um die Gummigriffe des Lenkers.
Sie hielt ihr Fahrrad am Rand des asphaltierten Parkplatzes an und sah sich um. Sie wartete atemlos darauf, dass jemand ihren Namen rief, ihr auf den Rücken klopfte und sie zu der Party willkommen hieß.
Aber niemand kam. Jugendliche drängten sich am Fluss und um das Feuer. Sie konnte das Gegacker und Gelächter und das leise Gesumme Dutzender Gespräche hören. Aber je näher sie zum Feuer kam, desto älter sahen die Jugendlichen aus. Sie hatte geglaubt, dies sei eine Party der Highschool, doch eine Gruppe von Jungen, die um das Feuer hingen, sah aus, als seien sie auf dem College - oder sollten es zumindest sein.
»Zach«, flüsterte sie und wollte, dass er in diesem Augenblick bei ihr wäre. Aber es war zu spät, bei ihm zu Hause anzurufen, und er würde auf einer solchen Party nicht sein.
Sie steckte die Hände tief in die Taschen, versuchte cool zu wirken, als ob sie dazugehörte, während sie an einer Gruppe Jugendlicher nach der anderen vorbeischlenderte, nach jemandem suchte, mit dem sie reden könnte.
Schließlich erreichte sie das Flussufer und stand da, schaute auf die wirbelnde Strömung. Der Ärger, den sie vorher empfunden hatte, verflog und ohne seine Hitze fühlte sie sich kalt. Ringsum lachten die Jugendlichen und sprachen und amüsierten sich, aber mit ihr hatte überhaupt niemand gesprochen. Es war, als sei sie ein Geist, unsichtbar und isoliert.
Sie hörte ein leises, trillerndes Lachen und es klang vertraut. Sie riss den Kopf in dem Augenblick hoch, als ein Mädchen und ein Junge an ihr vorbeispazierten. Linas Blick begegnete dem des Mädchens - Cara Milston. Es gab einen Moment betroffenen Wiedererkennens auf beiden Seiten. Vor langer Zeit - in den sieben ersten Schulklassen - waren sie die besten Freundinnen gewesen, aber jetzt trennten sie Welten. Gewöhnlich schauten sie sich nicht einmal an - der Cheerleader und das böse Mädchen.
Lina fühlte einen plötzlichen Schmerz von Verlust für das Mädchen, das sie einmal gewesen war. Sie überlegte, wie es hätte sein können, wenn sie in der achten Klasse nicht die Freunde gewechselt hätte, wenn sie nicht damit angefangen hätte, vor der Schule unten am Fluss zu rauchen, wenn sie niemals diesen ersten brennenden Schluck Whiskey getrunken hätte, als sie vierzehn war.
Sie wollte das jetzt alles rückgängig machen, wollte Cara wiederhaben. Eine beste Freundin, mit der sie sprechen konnte.
Cara schenkte Lina ein kurzes, schnelles Lächeln und ging an ihr vorbei.
Lina seufzte schwer und ließ sich am Flussufer auf die Knie sinken. Sie spürte den kalten, weichen matschigen Lehm um sich, der sie bis auf die Knochen frösteln ließ, aber es war ihr egal.
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich je so einsam gefühlt hatte. Alles an ihrem Leben war ein Witz. Niemand war jemals da, wenn es wirklich wichtig war. Selbst jetzt, mitten auf der besten Schulparty des Jahres, war sie allein. Vergessen.
Plötzlich wünschte sie sich, dass die Dinge anders wären. Sie wollte nicht wütend auf ihre Mutter sein, wollte nicht diese heftigen Wutausbrüche haben, die ihr so natürlich wie das Atmen erschienen. Sie wollte sich mit ihrer Mom und ihrem Daddy hinsetzen und ihnen sagen können, dass sie sie liebte.
Aber sie hatte sich ausgeschlossen gefühlt, als sie heimkamen, beiseite geschoben. Und so hatte sie natürlich, statt
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