Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Lächeln war verflogen. Er wirkte unsicher und verlegen. Ohne direkt in ihre Richtung zu schauen, betrat er das Zimmer und schloss die Tür leise hinter sich.
Er durchquerte den Raum und schaltete die Stereoanlage ab. Dann drehte er sich langsam zu ihr um.
»Geh weg«, sagte sie. In dem Moment, als die Worte herauskamen, wünschte sie sich, sie nicht gesagt zu haben. Sie wollte sagen Geh nicht weg, aber sie konnte nicht sprechen.
Er stand da, die Hände tief in die Taschen seiner Levi's versenkt. »Sieh mal, ich glaube, ich bin mit dieser Sache blöde umgegangen. Ich hab absolut keine Ahnung, wie's ist, Vater zu sein.« Er stieß einen kleinen Seufzer aus und setzte sich neben sie. Die Matratze quietschte in der Stille. »Aber eines weiß ich - die Frau da drin liebt dich und du hast heute Nacht ihre Gefühle verletzt. Du weißt, dass du das getan hast.«
Sie spürte eine Welle von Bedauern und schaute weg, unfähig, seinem Blick standzuhalten.
Er fasste ihr Kinn und zwang sie sanft, aber bestimmt, ihm in die Augen zu sehen. »Du hast dich da draußen wie ein egoistisches Kind verhalten und ich habe mich für dich geschämt. Du solltest dich schämen.«
Sie wusste, dass er die Wahrheit sagte, und es traf. Sie spürte, dass die Tränen wiederkamen, und sie versuchte, sie mit dem Ärmel fortzuwischen, aber sie kamen wieder. »Ich ... ich weiß«, flüsterte sie.
Sie wartete darauf, dass er sie tröstete, dass er ihr sagte, es sei nicht ihre Schuld oder dass es in Ordnung sei, manchmal gemein zu sein, oder dass er verstehe - all die Dinge, die ihre Mutter gesagt hätte. Aber er saß einfach da und ließ sie die Last ihrer eigenen Scham spüren.
Schließlich lächelte er und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Erwachsen werden ist schwer - aber du hast dir zumindest nicht das Herz rausschneiden lassen müssen.«
Es erinnerte sie an das, was sie zu ihm gesagt hatte. »Ich ... es tut mir Leid, was ich gesagt habe ... ich hab's nicht so gemeint... du weißt, das mit dem Herz.«
Er seufzte leise. »Es macht mir auch Angst, Angelina. Francis war der beste Mensch, den ich je gekannt habe, und ich kann nicht er sein. Ich kann nicht mal versuchen, er zu sein. Aber ...« Er schwieg darauf und sah sie an.
Sie hatte das Gefühl, als hinge alles, schwebe zwischen ihnen. Sie konnte nicht einmal richtig atmen. »Aber was?«
»Es war falsch, dass ich dein Freund sein wollte. Es war die Antwort eines Kindes auf die Frage eines Mannes. Ich weiß jetzt, was ich wirklich will.«
»Und was ist das?«
»Ich will dein Dad sein. Und wenn du's mich versuchen lässt, werde ich alles geben, was ich habe.«
Sie spürte, dass die Tränen wieder kamen, stechend und brennend. »Das will ich auch«, sagte sie und hickste dabei ein wenig.
»Es wird nicht leicht sein. Ich mache Dinge nicht immer richtig - wie heute Abend. Da hätte ich dir sagen sollen, dass ich mit deiner Mutter ausgehen wollte. Ich hätte dir sagen sollen, dass ich sie liebe und dass ich will, dass wir eine Familie sind. Aber egal, was zwischen deiner Mom und mir geschieht, es wird nichts dran ändern, wie ich für dich fühle. Du bist meine Tochter und ich liebe dich.«
Sie warf sich an ihn und hielt ihn fest. »Ich liebe dich auch, Daddy.«
Er streichelte ihr Haar und seine Berührung war weich und zärtlich, sie gab ihr zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl, geborgen zu sein.
Nach einer langen Zeit löste er sich von ihr. »Ich glaube, dass du jetzt mit noch jemand sprechen solltest, nicht wahr?«
Sie starrte in seine grünen Augen und sah Anerkennung. Er gab ihr Kraft, dieser Ausdruck in seinen Augen. Sie nickte und stand langsam auf. An der Tür blieb sie stehen und schaute zu ihm zurück.
Er lächelte. »Du kannst es.«
Und sie konnte es. Das wusste sie jetzt. Sie wandte sich von ihm ab und verließ ihr Zimmer, ging über den langen Korridor zum Wohnzimmer.
Ihre Mutter stand neben dem Kamin. Sie biss sich auf die Unterlippe - so, wie sie es immer tat, wenn sie nervös war -und Lina verstand endlich, wie sehr und wie oft sie ihre Mutter verletzt hatte.
Ihre Mutter, die sie liebte und immer lieben würde, egal, was passierte ...
»Es tut mir Leid, Mom«, sagte sie leise und wünschte sich, all das zurücknehmen zu können. Alles, all die kleinen Kränkungen und die unfreundlichen Worte und die Grausamkeiten.
Madelaine schenkte ihr ein langsames, verständnisvolles Lächeln. »Ich liebe dich, mein Schatz.«
Lina warf sich in die wartenden
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