Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
der ausgefranste, abgeschnittene Saum fiel bis auf den Boden.
»Hi, Mom«, sagte sie und stieß die Tür mit einem Tritt ihres Fußes zu, der in einem Armeestiefel steckte. Einen Rucksack hinter sich herziehend, ging sie über den Korridor auf das Wohnzimmer zu. »Ich gehe ins Einkaufszentrum.«
Madelaines Kehle wurde trocken. »Warte, bis du was gegessen hast.«
Lina erstarrte. »Du kochst?«
»J... ja. Schinken und Käse-Omelett und Toast.«
»Mit Eierersatz und Truthahnschinken zubereitet? Mmh. Köstlich.«
»Du hast sonst immer gerne Truthahnschinken gegessen.«
Lina verdrehte ihre Augen. »Sieh doch mal, wie's wirklich war, Mom. Ich war zu jung, um den Unterschied zu bemerken.«
»Na ja ... aber du kannst den Toast essen.«
Lina warf ihren Rucksack auf die Couch und zuckte mit den Schultern. »Na schön.« Sie machte Anstalten, in ihr Zimmer zurückzukehren.
Madelaine wollte einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen und Lina gehen lassen, aber sie weigerte sich, so einfach nachzugeben. Es war genau diese Art von Feigheit, die ihre Beziehung kaputtgemacht hatte - es würde ein wenig Mut kosten, sie wiederherzustellen.
Vorschriften. Sie reagiert gut auf Regeln.
»Ich möchte, dass du den Tisch deckst«, rief sie dem Rücken ihrer Tochter zu.
Lina drehte sich langsam um. »Du willst, dass ich was tue?«
Madelaine fuhr sich mit der Zunge über ihre Lippen. »Dass du den Tisch deckst.«
Lina musterte sie. Die Hände in die Taschen ihrer Baggies gesteckt, durchquerte sie den Raum. »Mom?«
Madelaine zwang sich, still dazustehen und die Prüfung über sich ergehen zu lassen. »Ja?«
»Sind wir jetzt feine Pinkel geworden?«
Madelaine lachte laut auf. »Mach schon. Deck den Tisch.«
Lina bewegte sich nicht, sondern stand einfach nur da und starrte sie an. Schließlich konnte Madelaine nicht anders und begann, nervös zu werden. Es war ein Fehler zu versuchen, so zu tun, als ob sie eine Familie seien, zu tun, als ob eine Kleinigkeit wie ein Brunch am Samstag in Ordnung bringen könnte, was zwischen ihr und Lina nicht stimmte.
»Hast du gestern meinen Dad angerufen?«
Madelaine zuckte zusammen. Da war sie, die Frage, die sie vermieden haben wollte, wie ein Fehdehandschuh auf den Tisch geworfen. » Vater«, schnappte sie. Sie räusperte sich und versuchte, sachlicher zu klingen. »Er ist dein Vater. Ein Dad ist... anders.«
»Ja, schön. Hast du ihn angerufen?«
Madelaine senkte ihren Blick. Sie starrte auf die Karotten, kleine orangefarbene Stücke, die auf der jadegrünen Arbeitsfläche lagen.
»Mom?«
Madelaine zwang sich, in die misstrauischen Augen ihrer Tochter zu schauen. Sie versuchte zu lächeln, versuchte es und scheiterte. Ein winziger Kopfschmerz brannte hinter ihren Augen. »Was?«
»Hast du ihn angerufen?«
»Ob ich ihn angerufen habe?«
Lina biss sich nervös auf ihre Unterlippe. »Tu mir das nicht an, Mom.« Ihre Stimme brach und für eine Sekunde sah Madelaine die nackte, schmerzliche Verzweiflung ihrer Tochter.
Es war mehr als wer ist er ? Es war wer bin ich ?
Sie legte das Messer hin und ging um die Arbeitsfläche herum. Sie sah Lina fest an und zwang sich dazu, einen Arm auszustrecken. Lina starrte auf die Hand ihrer Mutter, hob dann die Augen und ihre Blicke trafen sich.
Madelaine spürte in dieser einen Sekunde eine Welle der Emotion. Es war so lange her, dass sie einander angesehen hatten, sich wirklich angesehen hatten. Sie hatten Monate damit verbracht, wegzuschauen, vorbeizuschauen, durch einander hindurchzuschauen.
Sie schaute Lina flehend an, bettelte um eine Chance. Sie versuchte zu antworten, merkte aber, dass sie es nicht konnte.
»Du hast keine Verbindung mit ihm aufgenommen«, sagte Lina niedergeschlagen. »Warum?«
Madelaine hielt Blickkontakt, so lange sie konnte, bis ihr Schuldgefühl zu einer würgenden Hand wurde, die ihre Kehle umklammerte. »Ich hatte so viel zu tun. Dieser neue Patient ist wirklich ...«
Lina sprang förmlich hoch. Sie begann zu lachen - oder weinte sie? Madelaine vermochte es nicht zu sagen, bis Lina sich umdrehte, und sie sah, dass ihre Tochter durch ihre Tränen lachte. »Toll, Mom. Du hattest zu viel zu tun , um meinen Dad anzurufen.« Sie nahm ihren Rucksack und schwang ihn über die Schulter. Heftig schniefend rannte sie zur Haustür und riss sie auf. In der letzten Sekunde blieb sie stehen und drehte sich um, warf Madelaine einen schmerzerfüllten Blick zu. »Ich weiß nicht, warum ich dir geglaubt hatte.«
Dann rannte sie
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