Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
anderer Teil - ein verborgener, heimlicher Teil, von dessen Existenz sie nichts gewusst hatte - war erregt zu hören, dass er an ihr Baby gedacht hatte, dass er vielleicht sogar von ihr geträumt haben könnte. Und plötzlich hatte sie ihm von Lina erzählen wollen, hatte das Geheimnis lüften wollen, das sie so lange gehütet hatte. Sie hatte die Hand ausstrecken wollen nach dem jungen Mann, den sie einmal geliebt hatte, und seine Hand nehmen und mit ihm gehen wollen ..., um mit ihm über die schönen Zeiten zu lachen.
Sie merkte, dass sie das in Gedanken alles wieder miterlebte, zurückging, zurück in die Vergangenheit, die sie sich so sehr zu vergessen bemüht hatte ...
Es war ein schwüler Augustabend gewesen, als sie merkte, dass sie schwanger war. Zuerst war sie glücklich gewesen. Sie und Angel hatten im Mondschein zusammen so viele wundervolle Träume geträumt, Träume, in denen sie verheiratet waren und Kinder hatten, und keiner von ihnen beiden würde je wieder einsam oder verloren sein oder wieder Angst haben.
Aber als sie ihm von dem Baby erzählt hatte, war es anders gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie in diesem schrecklichen Wohnmobil gesessen hatte, den Zigarettenrauch seiner Mutter gerochen hatte, als sie ihr Geheimnis flüsterte.
Oh, er hatte die richtigen Dinge gesagt, gesagt, dass er sie liebe und zu ihr stehen würde, aber sie sah den Ausdruck in seinen Augen, die Wildheit, die Furcht. Er wollte das Baby nicht, war nicht bereit dafür, und nach diesem Blick, in dieser Sekunde, als sie in seine Seele schaute und die Wahrheit sah, glaubte sie den Worten nie wieder.
Sie wusste nicht, was sie danach tun sollte, und er auch nicht. Sie war sechzehn, er war siebzehn und sie hatten geglaubt, sie seien unsterblich, hatten geglaubt, ihre Liebe könne sie vor der Hässlichkeit der Welt schützen.
Aber die Hässlichkeit kam trotzdem.
Als Alexander Hillyard erfuhr, dass seine perfekte Tochter schwanger war, drehte er durch. Er sperrte sie in ihrem Zimmer ein und vergitterte die Fenster mit dicken, schwarzen Eisenstäben. Weder Tränen noch Flehen vermochten ihn umzustimmen. Er bestimmte, dass sie abzutreiben hätte und sie nie wieder über ihren Fehltritt sprechen würden. Er würde nicht zulassen, dass dies ihre Zukunft zerstörte.
Sie wartete tagelang in diesem kalten, tadellos eingerichteten Raum, stand an das Fenster gelehnt da, starrte hinaus und wartete darauf, dass Angel zu ihr kommen würde.
Schließlich sah sie ihn, einen schmalen Schatten, der am Rande des Grundstücks stand. Sie stürzte an das Fenster, krallte sich mit ihren Fingern daran und schrie seinen Namen. Aber er hörte sie nicht.
Sie beobachtete, wie er über den geziegelten Bürgersteig ging, dann in dem Haus verschwand. Sie kauerte sich an die verschlossene Tür, lauschte verzweifelt nach Schritten.
Nach Schritten, die niemals kamen.
Fünfzehn Minuten später - es war die längste Viertelstunde ihres Lebens - verließ er das Haus. Sie eilte zurück zum Fenster und presste ihr Gesicht an die Scheibe. Am Tor drehte er sich um. Sein Blick glitt suchend über die Vorderseite des Hauses.
Ihre Blicke trafen sich und langsam, ganz langsam schüttelte er den Kopf, drehte sich dann um und ging davon. Sie hatte geglaubt, Tränen auf seinen Wangen zu sehen, aber es hätte ebenso gut Regen sein können. Sie war sich nie sicher gewesen.
Selbst nachdem er gegangen war, hatte sie sich an einen dünnen Faden von Hoffnung geklammert, daran, dass er wiederkommen würde. Es war ein Faden, der in der folgenden Nacht zerriss.
Sie hörte draußen ein grollendes Geräusch, sie rannte zum Fenster und schob die Alen^on-Spitzenvorhänge beiseite. Er war am Straßenrand, starrte zu ihrem Fenster hoch und saß auf einer brandneuen, chromglänzenden Harley-Davidson.
Und da wusste sie es: Er hatte Geld von ihrem Vater genommen.
Dieses Mal war sie sich sicher gewesen, dass er weinte, aber es war ihr egal. Er schenkte ihr ein schwaches, müdes Winken und dann fuhr er davon.
Es war das letzte Mal, dass sie Angel DeMarco gesehen hatte - bis er in der Intensivstation aufgetaucht war, sie brauchte, um sein Leben zu retten.
Sie wusste, dass Angel geglaubt hatte, sie habe abgetrieben. Ihr Vater hatte keine Zeit vergeudet und dem Möchtegern-Daddy klipp und klar gesagt, dass es kein Baby geben würde.
Was also hatte sie dazu gebracht, jetzt alles zu riskieren und die Büchse der Pandora zu öffnen, die so lange
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