Kristin Lavranstochter 1
dann allzu lange voneinander getrennt gewesen waren.
Aber sie versuchte es sich aus dem Kopf zu schlagen. Es war beabsichtigt, daß Erlend sie um die Zeit des Weißen Sonntags besuchen sollte. Er hatte Lavrans und Ragnfrid gefragt, ob sie etwas dagegen hätten, daß er käme, und Lavrans hatte ein wenig gelacht und geantwortet, er würde seinen Schwiegersohn doch wohl gut aufnehmen, dessen könne Erlend gewiß sein.
In diesen Tagen konnten sie dann zusammen draußen sein, sie konnten wie in alten Zeiten miteinander sprechen, und da würde er sich wohl verflüchtigen, dieser Schatten, der durch die lange Trennung zwischen sie gekommen war, als jeder für sich allein hatte gehen und das Seine allein hatte tragen müssen, dachte Kristin.
Zu Ostern waren Simon Andressohn und seine Frau auf Formo. Kristin sah sie in der Kirche. Simons Frau stand nicht weit von ihr entfernt.
Sie muß viel älter sein als er, dachte Kristin - nahe den Dreißigern. Frau Halfrid war schmächtig und klein und mager, aber sie hatte ein seltsam anmutiges Gesicht, Selbst die fahle braune Farbe ihres Haares, das unter dem Kopftuch hervorquoll, war gleichsam so sanft, und voller Sanftheit waren ihre Augen; sie waren groß und grau, mit einem Schimmer von kleinen Goldsprenkeln darin. Jeder Zug in ihrem Gesicht war fein und rein -aber ihre Haut war etwas graubleich, und wenn sie den Mund öffnete, sah man, daß sie keine guten Zähne hatte. Sie sah nicht kräftig aus und sollte auch kränklich sein - sie war sogar ein paarmal schlimm daran gewesen, hörte Kristin. Kristin sann darüber nach, wie Simon wohl mit dieser Frau leben mochte.
Die Leute von Jörundhof und die von Formo hatten einander ein paarmal über den Kirchhügel hinweg gegrüßt, doch nicht miteinander gesprochen. Aber am dritten Tag war Simon ohne seine Frau in der Kirche. Da trat er zu Lavrans, und sie redeten eine Weile miteinander. Kristin hörte, daß Ulvhild zwischen ihnen erwähnt wurde. Danach sprach er mit Ragnfrid. Ramborg, die bei der Mutter stand, sagte ganz laut:
„Ich erinnere mich gut an dich - ich weiß, wer du bist.“
Simon hob das Kind ein wenig hoch und schwang es im Kreise herum.
„Das ist schön von dir, Ramborg, daß du mich nicht vergessen hast.“
Kristin selbst begrüßte er nur von weitem. Und die Eltern taten dieser Begegnung auch später keinerlei Erwähnung.
Aber Kristin dachte ziemlich viel daran. Es war doch merkwürdig gewesen, Simon Darre als verheirateten Mann wiederzusehen. Soviel Altes war dabei lebendig geworden: sie erinnerte sich ihrer blinden und untergebenen Liebe zu Erlend damals. Jetzt hatte sich das ein wenig verändert. Sie dachte darüber nach, ob Simon seiner Frau erzählt habe, auf welche Weise er und sie sich voneinander getrennt hatten - aber sie wußte ja, daß er dies „um des Vaters willen“ nicht getan hatte, dachte sie spöttisch. Es war so seltsam armselig, daß sie immer noch unverheiratet bei ihren Eltern umherging. Aber verlobt waren sie, Simon konnte sehen, daß sie ihren Trotz durchgesetzt hatten. Was ErIend auch sonst getan haben mochte, an ihr hatte er treu festgehalten, und sie war nicht lose oder leichtfertig gewesen.
Eines Abends, noch zu Anfang des Frühlings, wollte Ragnfrid einen Boten talabwärts zu Alt Gunhild senden, der Witwe, die das Rauchwerk nähte.
Der Abend war so schön, daß Kristin darum bat, selbst zu Gunhild reiten zu dürfen; schließlich wurde es ihr erlaubt, da die Männer alle beschäftigt waren.
Es war nach Sonnenuntergang, und zu dem grüngoldnen Himmel stieg ein feiner weißer Frosthauch auf. Kristin hörte bei jedem Hufschlag den spröden Laut des Eises, das sich gegen Abend wieder gebildet hatte und nun unter den Hufen zerbrach und rasselnd nach allen Seiten spritzte. Aber im Dickicht längs dem Wege jubelte der Vogelgesang weich und frühlingshaft voll in die Dämmerung hinein.
Kristin ritt rasch talabwärts, sie dachte an nichts Bestimmtes, sondern fühlte nur, daß es gut war, wieder einmal draußen zu sein. Sie ritt dahin, die Augen auf die junge Mondsichel geheftet, die eben hinter dem Bergkamm auf der anderen Seite des Tales hinabsinken wollte. Und als das Pferd plötzlich zur Seite sprang und sich aufbäumte, wäre sie fast heruntergefallen.
Sie sah einen dunklen Körper zusammengekrümmt am Wegrand liegen - zuerst empfand sie Furcht. Die schreckliche Angst davor, allein unterwegs Menschen zu begegnen, saß ständig in ihr. Dann dachte sie, es könnte ein kranker
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