Kristin Lavranstochter 1
Aber als er die Seelenangst seiner Herrin sah, riet er ihr doch zu. Frau Gunna nahm die beiden kleinen Kinder zu sich nach Raasvold, Gaute jedoch wollte sich nicht von seiner
Mutter trennen, und sie wagte es auch nicht, hier im Norden den Knaben aus den Augen zu lassen.
Als sie ins Dovregebirge kamen, trafen sie so hartes Wetter an, daß sie auf Ulvs Rat hin ihre Pferde auf Drivstuen zurückließen und sich dort Schneeschuhe liehen - darauf vorbereitet, die nächste Nacht im Freien zubringen zu müssen. Kristin hatte keine Schneeschuhe mehr an den Füßen gehabt, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, das Vorwärtskommen fiel ihr deshalb schwer, obgleich die Männer sie nach besten Kräften unterstützten. Sie kamen an diesem Tage nicht weiter als bis mitten in das Gebirge zwischen Drivstuen und Hjerdkinn, und als es zu dunkeln begann, mußten sie einen Birkenwald aufsuchen und sich dort in den Schnee eingraben. Auf Toftar bekamen sie Pferde geliehen; hier stießen sie auf Nebel, und als sie ein wenig tiefer ins Tal gelangten, kamen sie in Regenwetter. Als sie mehrere Stunden nach Einbruch der Dunkelheit auf den Hofplatz von Formo einritten, fuhr der Wind heulend um die Häuserecken, der Fluß rauschte, und es brauste und dröhnte von den Hängen herab. Der Hofplatz war ein einziger Morast und dämpfte den Laut der Hufschläge - auf dem großen Hof war in der Feierabendstunde des Samstagabends kein Lebenszeichen zu bemerken, und weder Menschen noch Hunde schienen ihr Kommen gewahr zu werden.
Ulv pochte mit seinem Speer laut an die Tür des Wohnhauses ; ein Knecht kam herbei und schloß auf. Gleich darauf stand Simon selbst in der Tür zur Vorstube, breit und dunkel gegen den Lichtschein dahinter, mit einem Kind auf den Armen; er trieb die bellenden Hunde zurück. Als er seine Schwägerin erkannte, stieß er einen Ruf aus, stellte das Kind auf den Boden und zog Kristin und Gaute herein, während er sie eigenhändig von ihren durchnäßten Hüllen befreite.
Gut und warm war es in der Stube, aber es herrschte eine erstickende Luft darin, denn es war eine Herdstube mit flacher Decke, über der sich eine Dachkammer befand. Eine Menge Menschen hielt sich in ihr auf - und Kinder und Hunde wimmelten aus jedem Winkel hervor. Dann unterschied Kristin die Gesichter ihrer beiden kleinen Söhne, rot und warm und froh, hinter dem Tisch, auf dem ein brennendes Licht stand. Sie kamen jetzt herbei und begrüßten Mutter und Bruder ein wenig fremd - Kristin verstand, daß sie mitten in die Behaglichkeit und Freude des Hauses eingebrochen war. Im übrigen herrschte in der Stube große Unordnung, und bei jedem Schritt, den sie vorwärts tat, trat sie auf krachende Nußschalen, die auf dem ganzen Boden verstreut lagen.
Simon sandte Knechte und Dienerinnen mit Aufträgen umher, und die Stube leerte sich von den Leuten und dem größten Teil der Kinder und der Hunde - es waren Nachbarn und deren Gefolge. Während Simon fragte und Kristin zuhörte, schloß er Hemd und Kittel, die seine bloße, haarige Brust hatten sehen lassen. Die Kinder hätten ihn so zugerichtet, sagte er entschuldigend. Er war entsetzlich unordentlich, der Gürtel saß verdreht, seine Kleider und Hände waren sehr schmutzig, und Gesicht und Haare waren voller Ruß und Schmutz und Staub.
Gleich darauf kamen zwei Dienerinnen und führten Kristin und Gaute hinüber in Ramborgs Frauenhaus. Es brannte dort bereits ein Feuer im Ofen, geschäftige Mägde zündeten Lichter an, richteten Betten her und waren ihr und dem Knaben beim Anlegen trockener Kleider behilflich, während andere den Tisch mit Speisen und Getränken deckten. Ein halberwachsenes Mädchen mit seidendurchflochtenen Zöpfen brachte ihr den schäumenden Biernapf. Es war Simons älteste Tochter, Arngjerd. Dann kam er selbst herein; er hatte sein Äußeres in Ordnung gebracht, und jetzt war er so, wie Kristin ihn zu sehen gewohnt war, schön und gut gekleidet. Er führte seine kleine Tochter an der Hand, und hinter ihm kamen Ivar und Skule.
Kristin fragte nach ihrer Schwester, und Simon erzählte, Ramborg habe die Frauen von Sundbu nach Ringheim hinunterbegleitet. Jostein hatte seine Tochter Helga geholt, und da hatte er auch Dagny und Ramborg mitnehmen wollen - er war solch ein munterer, freundlicher alter Mann, und er hatte versprochen, der drei jungen Frauen gut zu achten. Vielleicht also blieb Ramborg den Winter über dort. Sie erwartete um die Zeit der Matthiasmesse ein Kind - und Simon selbst
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