Kristin Lavranstochter 1
sich in der Burg auf Akersnes; der Burghauptmann war verreist, so daß es ihnen vorläufig nicht gelang, Erlend zu sehen. Aber der Unterschatzmeister, Olav Kyrning, versprach, Erlend wissen zu lassen, daß sie sich in der Stadt aufhielten. Olav war sehr freundlich zu Simon und Kristin, denn sein Bruder war mit Ramborg Aasmundstochter von Skog verheiratet, so daß eine entfernte Verwandtschaft mit den Lavranstöchtern bestand.
Ketil von Skog kam in die Stadt und lud sie ein, Weihnachten draußen bei ihm zu feiern, aber Kristin wollte kein lärmendes Fest begehen, während es so schlecht um Erlend bestellt war. Und da wollte auch Simon nicht fahren, obgleich sie ihn herzlich darum bat; Simon und Ketil kannten einander, Kristin aber hatte ihren Vetter nur einmal gesehen, seitdem er erwachsen war.
Kristin und Simon hatten in demselben Hof Herberge genommen, in dem Kristin einmal der Gast von Simons Eltern gewesen war, damals, als sie mit Simon verlobt war; aber nun wohnten sie in einem anderen Haus. Es befanden sich zwei Betten in der Stube, sie schlief in dem einen und Simon und Ulv in dem anderen; die Knechte lagen im Stall.
In der Christnacht wollte Kristin zur Mitternachtsmesse in die Kirche von Nonneseter gehen - sie sagte, weil die Schwestern so schön sängen. So gingen denn alle fünf dorthin. Die Nacht war sternenklar, mild und schön, und es hatte am Abend ein wenig geschneit, so daß es ziemlich hell war. Als die Glocken der Kirchen zu läuten anhuben, strömten die Menschen aus allen Höfen, und Simon mußte Kristin bei der Hand führen. Ab und zu sah er sie verstohlen an. Sie war in diesem Herbst sehr mager geworden, aber es war gleichsam, als habe ihre hohe aufrechte Gestalt etwas von der weichen und stillen Anmut des jungen Mädchens zurückerhalten. In das bleiche Gesicht war wiederum der Ausdruck von Ruhe und Sanftmut ihrer Jugend gekommen, der eine tiefe und verborgene, lauschende Spannung überdeckte. Sie hatte eine seltsame und gespenstische Ähnlichkeit mit jener jungen Kristin an dem Weihnachtsfest damals vor langer Zeit... Simon drückte ihre Hand und wußte nicht, daß er dies tat, bis er den Gegendruck von Kristins Fingern spürte. Er blickte auf; sie lächelte und nickte, und er verstand, daß sie seinen Händedruck für eine Ermahnung, sich mutig zu halten, genommen hatte und sich nun bemühte zu zeigen, daß sie dies ja tue.
Als die hohen Festtage vorüber waren, ging Kristin zum Kloster hinaus und bat, der Äbtissin und jenen Schwestern, die noch von ihrer Zeit her lebten, ihre ehrerbietigen Grüße entbieten zu dürfen. Sie war dann eine kleine Weile in der Sprechstube der Äbtissin. Danach ging sie in die Kirche. Sie begriff, daß sie innerhalb der Mauern des Klosters nichts zu schaffen hatte. Die Schwestern hatten sie freundlich empfangen, aber sie erkannte, daß sie für diese nur eines der vielen jungen Mädchen war, das hier ein Lernjahr zugebracht hatte - war ihnen irgend etwas davon zu Ohren gekommen, daß sie sich von den anderen jungen Töchtern unterschieden hatte, und zwar nicht zum Guten, so ließen sie es sich nicht anmerken. Jenes Jahr hier in Nonneseter, das in ihrem Leben so viel bedeutete, galt in dem des Klosters wenig. Ihr Vater hatte für sich und die Seinen Seelenmessen im Kloster gekauft; die neue Äbtissin, Frau Elin, und die Schwestern würden für Kristin und ihres Mannes Rettung beten, sagte sie. Aber Kristin verstand, daß sie kein Recht hatte, hier einzudringen und die Nonnen mit ihren Besuchen zu beunruhigen. Ihre Kirche stand ihr offen, wie sie allen Menschen offenstand; sie konnte im nördlichen Schiff verweilen und dem Gesang der reinen Frauenstimmen oben im Chor lauschen, konnte sich in dem ihr bekannten Raum umsehen, die Altäre und Bilder betrachten, und wenn die Schwestern die Kirche durch die Tür zum Klosterhof verlassen hatten, konnte sie hinaufgehen, bei dem Grab der Frau Groa Guttormstochter das Knie beugen und an die kluge, kraftvolle, würdige Mutter denken, deren Rat sie nicht verstanden oder nicht gewürdigt hatte - ein anderes Heimatrecht besaß sie nicht in diesem Haus der Dienerinnen Christi.
Gegen Ende der Festtage kam Herr Munan zu ihr - er habe erst jetzt erfahren, daß sie in der Stadt sei, sagte er. Herzlich begrüßte er Kristin, Simon Andressohn und Ulv, den er immer wieder seinen Verwandten und lieben Freund nannte. Es dürfte schwierig für sie werden, Erlend zu sehen, meinte er; er sei streng bewacht - ihm sei es nicht geglückt,
Weitere Kostenlose Bücher