Kristin Lavranstochter 2
wandte sich von ihr ab und ging wieder zum Bruder hinauf.
Naakkve bewachte Björgulv früh und spät und hielt die Mutter von ihm fern, soviel er nur konnte. Aber Kristin ahnte, daß die beiden jungen Männer manche schwere Stunde miteinander durchmachten.
Nikulaus Erlendssohn war es, der jetzt Herr auf Jörundhof sein sollte, aber er hatte keine Zeit, sich auch nur im mindesten um den Hof zu bekümmern. Auch schien er, ähnlich wie sein Vater, wenig Lust und Gabe dazu zu haben. So übernahmen denn Kristin und Gaute an seiner Stelle die Führung, denn in diesem Sommer zog auch Ulv Haldorssohn von ihnen weg.
Nach den unglücklichen Geschehnissen, die mit Erlend Nikulaussohns Tod endeten, war Ulvs Frau mit ihren Brüdern heimgezogen. Ulv blieb auf Jörundhof - er sagte, er wolle den Leuten zeigen, daß er sich durch Gerede und Lügen nicht vertreiben lasse. Aber ab und zu ließ er doch durchblicken, daß er nun wohl die längste Zeit hier gelebt habe; er gedachte vielleicht nach Norden auf seinen eigenen Hof in Skaun zu ziehen, wenn einmal so viel Zeit verstrichen wäre, daß niemand ihm nachsagen könnte, er sei den Gerüchten davongelaufen.
Nun aber begann der Vertrauensmann des Bischofs nachzuforschen, ob Ulv Haldorssohn seine Frau widerrechtlicherweise verschmäht habe. Da bereitete Ulv sich zum Aufbruch vor und holte Jardtrud, er wollte nach Norden ziehen, noch ehe das Herbstwetter den Weg über das Gebirge beschwerlich mache. Zu Gaute sagte er, daß er sich mit dem Mann seiner Halbschwester, der in Nidaros Waffenschmied war, zusammentun und dort wohnen wolle, Jardtrud aber wollte er nach Skoldvirkstad bringen, das sein Brudersohn weiterhin für ihn betreiben sollte.
Am letzten Abend trank Kristin ihm aus dem vergoldeten Silberbecher zu, den ihr Vater von seinem Großvater, Herrn Ketil, geerbt hatte. Sie bat ihn, den Becher anzunehmen und ihn als Erinnerung an sie aufzubewahren, dann steckte sie ihm einen goldenen Ring, der Erlend gehört hatte, an den Finger; den solle er zum Gedächtnis an seinen Verwandten tragen.
Ulv küßte sie zum Dank dafür. „Das gehört jetzt zum Verwandtenbrauch“, sagte er lachend. „In jener ersten Zeit, da wir uns kennenlernten, Kristin - ich war der Diener, der dich abholte und dich zu meinem Herrn begleitete -, dachtest du wohl nicht, daß wir uns je so trennen würden?“
Kristin wurde flammend rot, denn er sah sie jetzt mit dem alten spöttischen Lächeln an, aber sie glaubte aus seinen Augen zu lesen, daß er betrübt war. Da sagte sie:
„Trotzdem, Ulv, sehnst du dich denn nicht nach dem Drontheimischen zurück, da du doch im Norden geboren und aufgewachsen bist? Ich sehne mich gar oft nach dem Fjord zurück, und ich lebte doch nur die wenigen Jahre dort.“ Ulv lächelte wie zuvor, da sagte sie leise: „Wenn ich dich jemals in meiner Jugend gekränkt habe durch Hochmut oder... Ich wußte ja nicht, daß ihr so nahe verwandt wart, du und Erlend - das mußt du mir jetzt verzeihen!“
„Nein, nein - und überdies war es keineswegs Erlend, der diese Verwandtschaft nicht anerkennen wollte. Sondern ich war so stolz in meiner Jugend - hatte mein Vater mich aus seinem Geschlecht ausgestoßen, so wollte ich nicht betteln.“ Er erhob sich jäh, ging zu Björgulv, der auf der Bank saß. „Begreifst du, Björgulv, mein Pflegesohn, dein Vater - und Gunnulv, die beiden erwiesen mir Verwandtensinn von Anfang an, da wir als Knaben zusammenkamen - ganz entgegengesetzt zu meinen Brüdern und Schwestern auf Hestnaes. Später - niemals trat ich als Erlends Verwandter auf, außer, wenn ich sah, daß ich ihm auf diese Weise besser dienen konnte - und seiner Frau - und euch, meinen Pflegesöhnen. Verstehst du?“ fragte er heftig. Er legte seine Hand auf Björgulvs Gesicht, verdeckte die erloschenen Augen.
„Ich verstehe.“ Björgulvs Antwort klang halb erstickt hinter der Hand des anderen; er nickte in Ulvs Hand.
„Wir verstehen, Pflegevater.“ Nikulaus legte seine Rechte schwer auf Ulvs Schulter, und Gaute trat näher zu den dreien heran.
Kristin wurde es seltsam zumute - es war, als wollten die anderen über Dinge sprechen, von denen sie nichts wußte. Dann kam auch sie herbei und sagte:
„Verlaß dich darauf, Ulv, unser Verwandter, das wissen wir alle - keiner von uns, nicht Erlend und nicht wir, hat einen so getreuen Freund besessen wie dich, Gott segne dich!“
Am Tag darauf zog Ulv Haldorssohn nach Norden.
Im Lauf des Winters kam Björgulv mehr zur Ruhe, soweit
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