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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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entwarf er Verteidigungs- und Anklagereden, obwohl er doch längst wusste, dass das ein einziges Schattenfechten war.
    Silkes Geburtstag feierte er, indem er sich einen halben Tag lang nur an Erlebnisse mit der Tochter erinnerte: Wie er sich einmal von seiner Jahresendprämie einen Anorak kaufen wollte, keinen fand, der ihm gefiel, und aus lauter Verzweiflung einen Pullover erstand. Er hatte Silke vom Kindergarten abgeholt und mitgenommen und auf dem Heimweg hatten sie immerzu das Lied vom spannenlangen Hansel und der nudeldicken Dirn gesungen, und Silly hatte gestrahlt, weil ja Winter war und es früh dunkel wurde und sie mit ihrem Papi noch immer durch die Stadt lief. Wie Silly dann fünf wurde und am Abend ihres Geburtstages, schon im Bett, zufrieden aufseufzte: »Schöner kann der Geburtstag von Walter Ulbricht auch nicht gewesen sein!« Im Kindergarten hatten sie ein Bummi -Heft vorgelesen bekommen: Teddy Bummi besucht Walter Ulbricht zum Geburtstag . Eine große, bunte Zeichnung war drin: Bummi vor Kakao und Kuchen auf Ulbrichts Schoß, der Genosse Staatsratsvorsitzender und Erster Sekretär der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands lächelte gütig. Hannah und er mussten lachen über diese Art von Personenkult im Kindergarten, entsetzt waren sie aber auch; Silke jedoch strahlte glücklich und das so ganz von innen heraus mit ihren großen blauen Hannah-Augen … Heute würde sie wohl kaum gestrahlt und gelacht haben; heute hatte sie geweint, dessen war er sich sicher.
    Am Abend dieses Tages wurde er dann geholt. Er hatte schon fast damit gerechnet; der Leutnant versuchte ja immer wieder, ihn auf dem falschen Fuß zu erwischen.
    »Sie möchten eine Aussage machen?«
    »Nein.« Lenz gab sich betont sachlich. »Das mit der Aussage habe ich nur gesagt, um eine Gelegenheit zu bekommen, eine Beschwerde vorzubringen.«
    Da grinste er belustigt, der Knut. »Dann haben Sie ja gelogen?«
    »Wenn ich die Wahrheit gesagt hätte, hätte man mich kaum zu Ihnen gebracht.«
    Der Leutnant grinste weiter. »Und worüber wollen Sie sich beschweren?«
    Er befinde sich nun schon den dritten Monat in Einzelhaft, Lenz gab sich Mühe, seine Erregung zu zügeln, da hätte er doch gern mal gewusst, wozu diese übervorsichtige Maßnahme eigentlich gut sein soll. Und wenn er schon so gefährlich sei, dass man ihn unbedingt in Einzelhaft halten musste, obwohl er sich doch längst geständig gezeigt hatte, wozu dann diese schikanösen Spielchen mit der Leseerlaubnis, wozu solch dumme Scherze wie vorgetäuschte Besuchstermine?
    Er erwartete eine heftige Reaktion, vielleicht sogar den kommentarlosen, sofortigen Rücktransport in seine Zelle, der Leutnant aber blieb ruhig: Jede Leseerlaubnis bedeute nun mal eine großzügig gestattete Hafterleichterung; eine Vergünstigung, die dem Untersuchungshäftling Lenz leider nicht mehr gewährt werden könne, da er gegen die Anstaltsordnung verstoßen habe, die nun mal besage, dass es den Inhaftierten nicht gestattet sei, in den ihnen zur Verfügung gestellten Büchern Eintragungen oder Unterstreichungen vorzunehmen. »Wenn das nun jeder machen wollte? Wie dann wohl die Bücher aussehen würden? Das müssten Sie als Freund der Literatur doch eigentlich verstehen können.«
    »Womit sollte ich denn etwas unterstrichen haben?«
    »Mit dem Fingernagel.«
    Sollte er es ableugnen? Wie wollte man denn nachweisen, dass diese Unterstreichungen sein Werk waren? – Aber nein, du Blödkopf, sie brauchen dir nichts nachzuweisen; es genügt, wenn sie es festgestellt haben, egal wie und wann. Also gesteh deine Schande ein; es geht ihnen ja gar nicht um die Sachbeschädigung, ihr Problem ist, dass die Bücher von Zelle zu Zelle weitergereicht werden und die Häftlinge auf diese Weise einander Mut machen können.
    »Begreifen Sie nun, weshalb wir so grausam handeln mussten?«
    »In der Zeitung hatte ich nichts unterstrichen. Darin standen keine geistreichen Bemerkungen.«
    »Wenn einem die Leseerlaubnis entzogen wird, kriegt man natürlich auch keine Zeitung mehr. Das liegt doch auf der Hand.« Der Leutnant überhörte Lenz’ Spitze. Lässig öffnete er das Schreibtischschubfach, um Lenz die übliche angebrochene Packung Zigaretten zuzuschieben.
    Lenz zündete sich eine an. Und der geplatzte Besuchstermin? Was sollte dieses Laientheater denn für einen Sinn gehabt haben? Womit hatte er sich eine solche Behandlung verdient?
    Knut machte sich Notizen und sagte danach mit so ehrlichem Gesicht, dass Lenz geneigt

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