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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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das Leben kosten, die überall anzutreffende Kriminalität, der Konsumterror – all diese Auswüchse der kapitalistischen Gesellschaft sind Produkte ihrer Art von ›Freiheit‹. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, weshalb ein intelligenter Mensch das nicht sehen will.«
    Sollte er ihm jetzt etwa beipflichten? – Nein, bloß keine Verbrüderung nur wegen ein paar gemeinsamen Abneigungen.
    Der Leutnant steckte sich einen seiner Bonbons in den Mund und lutschte darauf herum, bis er plötzlich einen Zeitungsausschnitt aus seiner Schublade zog.
    »Sie sind doch ein großer Verehrer von Heinrich Mann. Jedenfalls haben Sie seine Werke im Regal. Wie kommt es, dass ein Heinrich Mann bei uns als gleichrangig mit seinem Bruder Thomas gilt, im Westen aber kaum bekannt ist und von vielen Großkritikern eher gering geschätzt wird?«
    Lenz blickte nur kurz auf den zusammengefalteten Zeitungsausschnitt. Worauf zielte er denn jetzt ab, der Knut? Hatte dieser Genosse Schönschwätzer noch nie etwas von den nicht wenigen DDR-Autoren gehört, die im eigenen Land nicht einmal gedruckt und deshalb auch von keiner Kritik gewürdigt werden konnten?
    Der Leutnant schob den Zeitungsausschnitt über den Tisch. »Lesen Sie doch mal.«
    Ein Artikel aus einer westdeutschen Zeitung. Der Rezensent schrieb, das Werk des älteren der Brüder Mann habe, im Gegensatz zu dem des jüngeren, heutigen Lesern kaum mehr etwas zu sagen. Solle also die DDR das Erbe dieses Schriftstellers, das sie nach dem Krieg so voller Begeisterung an sich gerissen habe, ruhig weiterverwalten.
    Knut: »Der das geschrieben hat, ist ebenfalls aus seiner sozialistischen Heimat geflohen. Würden Sie diese Sätze unterschreiben?«
    Lenz, verwundert: »Haben Sie das extra für mich ausgeschnitten?«
    »Nein, aber ich dachte, es würde Sie vielleicht interessieren. Dieser Schreiber da, das ist ja nicht nur eine Stimme von vielen, das ist der Großmeister der westdeutschen Literaturkritik, der Hunderte seiner Kollegen beeinflusst. – Menschenskind! Das sieht doch ein Blinder, dass das keine Literaturkritik mehr ist. Das hat Methode … Von denen drüben trennen uns Welten! Wollen Sie wirklich zu den ewig Gestrigen gehören? Unser Ziel ist es, eine humane Welt aufzubauen, eine Welt, wie sie auch einem Heinrich Mann vorschwebte, eine Welt ohne Untertanen und Herrscherwillkür.«
    Jetzt hatte der Leutnant Pathos in der Stimme, die dunklen Knopfaugen blitzten.
    Kein Zweifel, Manne, die Stasi kämpft um dich! Sie wollen herausfinden, ob du nicht trotz allem noch irgendwie zu ihnen gehörst. Aber warum?
    Der Leutnant zog den Artikel wieder zurück, legte ihn in die Schublade und griff nach dem Telefonhörer. »Denken Sie mal ein bisschen über alles nach. Vielleicht geht Ihnen ja doch noch ein Licht auf.«

13. In der Silvesternacht
    I nsel der Jugend hieß es, das kleine Eiland mitten in der Spree, auf das der Königsheider Nachtwanderer Manfred Lenz verbannt wurde. Die hohe, bogenförmige stählerne Abteibrücke, die es mit dem Festland verband, war bereits im Ersten Weltkrieg errichtet worden. Dreißig Jungen, alle zwischen vierzehn und achtzehn Jahre alt, überquerten sie täglich; morgens, wenn sie zur Arbeit gingen und Manne Lenz als Einziger sich auf den Weg zur Schule machte, am späten Nachmittag, wenn die anderen Jungen von der Arbeit heimkehrten und der Schüler Lenz längst die Schularbeiten erledigt hatte, auf seinem Bett lag und las.
    War es Herbst, kräuselte sich die Spree, als wäre sie aus Selterswasser, in strengen Wintern trug sie Eisschollen, im Frühjahr blinkte und glitzerte sie unternehmungslustig, im Hochsommer blühte sie giftgrün. Die Jungen aus dem Jugendwohnheim sprangen trotzdem rein. Oder sie schipperten mit ihrem selbst gebauten Paddelboot, der Mistbiene , an den Badestränden entlang, um nach Mädchen Ausschau zu halten. Hatte einer eine Zutrauliche erwischt, paddelte er sie stolz zur Liebesinsel hinüber, der nur wenige Quadratmeter großen, mit Bäumen, Sträuchern und wilden Gräsern bewachsenen Nachbarinsel, um nach seiner Rückkehr die wildesten Storys über seine Eroberung zu erzählen.
    Sie prahlten mit ihren jungen braunen Körpern, spielten Volleyball und Fußball, Tischtennis und Skat, ließen das Kofferradio dudeln und träumten von der Zeit, in der sie keine Insulaner mehr sein würden, Unmengen Geld verdienten und jeder einen tollen Schlitten fuhr; ganz klar, wer ein tolles Auto besaß, hatte auch eine tolle Frau.
    Direkt

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