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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Bildern vor seinen Augen wurde Jo Jo nicht fertig; sie machten ihn unleidlich und bissig. Es gab nichts Schönes auf der Welt, alles war schlecht oder lächerlich; kein Wunder, dass die meisten Insulaner ihm lieber aus dem Weg gingen.
    Auch Lampe gehörte nicht zu Mannes Freundeskreis; dennoch redete er gern mit ihm. Peter Lampe hatte wahr gemacht, wovon die meisten anderen nur träumten: Er war in den Westen abgehauen, zu seiner letzten ihm verbliebenen Tante, und im Heim hatte man nie wieder etwas von ihm gehört, bis ein gutes Jahr nach seiner Flucht plötzlich Erwin auftauchte: Erwin Pietras aus Saarbrücken, blond, sommersprossig, untersetzt, höflich; Erwin mit der hellen Sommerjeans, um die ihn alle beneideten. Erwin bestellte Grüße von Lampe und berichtete, dass Lampe sich im Westen unglücklich fühle und gern zurückkommen würde, wenn er wegen seiner Republikflucht nicht ins Gefängnis musste. Seeler setzte alle Hebel in Bewegung, um eine Bewährungsstrafe für Lampe auszuhandeln, und eines Tages war Lampe wieder da. In Westklamotten und mit James-Dean-Frisur stand er vor ihnen und ließ sich bestaunen. In Saarbrücken hatte er gelebt? Mensch, das lag ja fast am anderen Ende der Welt!
    Erwin mit der hellen Jeans, Werkzeugmacher von Beruf, Spätwaise wie Lampe und neugierig auf den Osten, blieb dann ebenfalls im Heim und zog für ein Jahr zu Manne ins Zweierzimmer; wirkliche Freunde allerdings wurden sie nicht.
    Onkel Karl lästerte gern, alle, die aus dem Westen in den Osten gekommen waren, hätten keine Achselhaare mehr, so oft hätte ihnen der über diesen Zuwachs erfreute Oststaat hilfreich unter die Arme gegriffen. Lampe und Erwin bezahlten diese Hilfe mit Fusseln am Mund. Immer wieder, im Heim und vor Journalisten, in Betrieben und Schulen, mussten sie über ihre Erfahrungen in der Bundesrepublik berichten – von der hohen Arbeitslosigkeit dort, von verbrecherisch niedrigen Löhnen und unverschämt überteuerten Preisen. Und am Abend, in ihrem Zimmer, quetschte Manne Erwin über die westdeutsche »Ellenbogengesellschaft« aus. Er würde auch nicht gern für so einen kapitalistischen Fettarsch schuften, beruhigte er den über seine Neugier besorgten Erwin. Wozu denn? Nur damit der immer reicher würde? Dann schon lieber die Engpässe im Osten als die Ausbeutung im Westen.
    Richtig berühmt wurden Lampe und Erwin, als eines Tages das Neue Deutschland ins Heim kam. Lampe musste erzählen, Erwin musste erzählen. Lampe wurde als gebranntes Kind vorgestellt, Erwin war der junge, bewusst lebende Westdeutsche, der sich für die Seite des Fortschritts entschieden hatte. Heimleiter Seeler, auf diese Weise doch noch mit zwei Vorzeige-Insulanern gesegnet, strahlte.
    Der Einzige, der es wagte, laut über Erwin und Lampe zu spotten, war Hanne Gottlieb. Lampe war für ihn der Playboy mit den nervösen Füßen, der nicht wusste, wo er hingehörte, und der vielleicht schon in einem halben Jahr wieder in den Westen abdampfen würde; Erwin hielt er für einen falschen Fuffziger.
    Manne war anderer Ansicht; es gab keinen Grund, den beiden Ex-Westlern derart misstrauisch zu begegnen. In Lampes Fall sollte er Recht behalten; was Erwin betraf, hatte Hanne den richtigen Riecher.
    Ein Freudentag für Manne, als dann endlich auch Ete Kern auf die Insel zog. Nur ein paar Monate hatte es gedauert, dann hatte Ete sein Versprechen wahr gemacht und in der Königsheide so viel Mist gebaut, dass sie ihn ebenfalls rausschmissen. Leider hatte das Jugendamt ihn zuerst in ein Weißenseeer Jugendwohnheim gesteckt. Dort hatte Manne ihn jede Woche besucht, so wie Ete jede Woche einmal auf der Insel angetanzt war. Gemeinsam hatten sie die Heimleiter bearbeitet: Die fortschrittlichsten, klassenbewusstesten Heimzöglinge wollten sie werden, wenn sie nur endlich wieder zusammen sein durften. Eines wunderschönen Augusttages war es dann endlich so weit: Sie durften mal wieder ein Zweierzimmer beziehen! Das war noch in dem Jahr, bevor Erwin kam. Sie tapezierten ihr Zimmer und ließen sich von Eddie Betten tischlern, die mit Decken drüber tagsüber zu Sofas gemacht werden konnten, teilten ihre Zigaretten miteinander und gingen nur gemeinsam fort. Und natürlich begannen auch die nächtlichen Diskussionen wieder: Wie konnte Ete nur so fest am Boden kleben? Weshalb war Manne nur so ein versponnener Luftballon?
    Nein, keine schlechte Zeit, diese zweieinhalb Jahre auf der Insel. Er war ja wer, der Manfred Lenz, führte die Bibliothek, schrieb

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