Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
Vom Netzwerk:
sei und was nicht. Und Mädchen, haha, Mädchen gebe es auf der Insel nun mal nicht, deshalb würden sie auch niemanden nicht in Verwirrung bringen können.
    Seelers Erziehungsideal: Pflichterfüllung, Treue, Pünktlichkeit, Sauberkeit und Fleiß. Seine Haupterziehungsmittel: harte Arbeit und gute Worte. Nichts machte ihm mehr Freude, als seine Jungen arbeiten zu sehen. »Arbeit schafft den Menschen«, scherzte er gern, das zweideutige »schafft« dabei besonders betonend; lernen sei ja auch gut, aber arbeiten, mit seinen eigenen Händen arbeiten, noch viel besser. So dauerte es nicht lange und auch Manne zog in seiner Freizeit in den Plänterwald hinaus, um zusammen mit den anderen Insulanern in vielen freiwilligen Arbeitsstunden für die Kinder der Umgebung einen Spielplatz anzulegen oder Gärtnerarbeit zu verrichten. Er tat es nicht mal ungern; war ja kein schlechtes Gefühl, mal so richtig gearbeitet zu haben. Außerdem lernte er auf diese Weise die anderen Jungen besser kennen.
    Zu seinen engsten Freunden zählte bald Eddie Gerhardt. Der groß gewachsene, aber eher schmale Achtzehnjährige mit dem immer sehr sorgfältig gescheitelten Haar und den hellen blauen Augen war eine Kriegswaise und bei Onkel, Tante und Cousine aufgewachsen. Bis er zu alt für die Cousine war. In der Schule war er nie richtig mitgekommen, deshalb hatte er keinen Beruf erlernt. Doch besaß Eddie goldene Hände, und so hatte man ihm im Heim die Stelle des Hausmeisters anvertraut und er war auch nach seiner Volljährigkeit auf der Insel geblieben. Eddie reparierte, was anfiel, tischlerte Betten und Aquariumschränke, befeuerte im Winter die Kohlenheizung und erledigte mit seinem kleinen Handwagen die täglichen Lebensmitteleinkäufe. Er wirkte aber oft ein wenig linkisch und wusste das, was ihn misstrauisch machte. Den Mädchen allerdings gefiel dieses Linkische, und so war Eddie nie solo und das wiederum gefiel Manne.
    Ein anderer enger Freund wurde Hans Gottlieb, der als Autolackierer arbeitete, diesen Beruf aber ebenfalls nicht erlernt hatte. Hanne trug seine wüste Mähne zum Staubwedel geschnitten und eine andere Hose als eine echte Levis kam ihm nicht auf den Hintern. Er hatte ein Jahr Jugendstrafvollzug hinter sich, weil er bei einem Einbruch in einen Bahnhofskiosk mitgemacht hatte, kannte jede Menge Knastlieder und schämte sich seines Ausrutschers nicht. »Wer nischt erlebt, sammelt keine Erfahrungen.« Hannes Vater, ein Architekt, war in den Westen gegangen und später in die USA ausgewandert; seine Mutter, Hauptbuchhalterin in einem großen Werkzeugmaschinenbetrieb und linientreue Parteiaktivistin, hatte sich gleich nach der Flucht ihres Mannes scheiden lassen und lebte seither nur noch für ihren Beruf und ihre Partei. Besuchte Hanne sie, nahm er Manne manchmal mit. Frau Gottlieb, eine gut aussehende, noch ziemlich junge Frau mit neugierigen Augen, lachte dann jedes Mal herzlich: »Hanne und Manne! Das klingt so richtig nach Zille-Milieu.«
    Hanne jedoch lachte nie, wenn er bei seiner Mutter war. Er steckte nur ein, was er kriegen konnte – Geld, was zum Futtern, frische Wäsche, ein neues Kleidungsstück –, und verschwand wieder. Sprach er mit seiner Mutter, hatte er einen Ton drauf, dass Manne jedes Mal zusammenzuckte. Es war deutlich: Hanne konnte seiner Mutter nicht verzeihen, dass sie nicht mit dem Vater mitgegangen war. Und noch schlimmer: Er konnte sich nicht verzeihen, dass er, aus Liebe zur Mutter, seinen von ihm so bewunderten Vater im Stich gelassen hatte. Nur um seiner Mutter und sich selbst eins auszuwischen, baute er immer wieder Mist; sie sollten nicht glücklich werden ohne den Vater.
    Mit Jo Jo war Manne nicht befreundet, doch hatte Jo Jo eine so schlimme Geschichte hinter sich, dass er seine Aufmerksamkeit erregte. Jo Jos Mutter, eine Widerstandskämpferin, hatte ihn im KZ entbunden; er war ihr weggenommen und in ein Kinderheim der Nazis gegeben worden. Nach dem Krieg wurde seine Mutter dann gesucht, und man fand heraus, dass sie bald nach seiner Geburt gestorben oder umgebracht worden war; Lungentuberkulose, wie es auf dem Totenschein hieß, konnte in einem KZ ja alles bedeuten. Das alles war schon bedrückend genug, Jo Jo aber setzte etwas anderes noch viel mehr zu, nämlich dass ihm in einem seiner früheren Heime gesagt worden war, dass er noch großes Glück gehabt hätte, viele andere im KZ geborene Kinder seien gleich nach ihrer Geburt umgebracht oder zu Versuchszwecken missbraucht worden. Mit diesen

Weitere Kostenlose Bücher