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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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verstockten Angeklagten zum Reden. Er bot ihm eine Zigarette an, der große Kriminalist Seeler, und begann danach ganz lässig über falsche und echte Freundschaften zu referieren; ein sich die ganze Zigarettenlänge hinziehender Vortrag, der am Ende in die Frage mündete, ob er, Manfred Lenz, denn mitgegangen wäre, falls sein Freund Ete ihn gefragt hätte.
    Diese Frage konnte er ehrlichen Herzens verneinen.
    »Und warum nicht?«
    Da musste er vorsichtig sein. Er wollte dem Seeler keine Freude bereiten. So zuckte er nur die Achseln und antwortete mit uninteressiertem Gesicht: »Was soll ich denn da?«
    Eine Reaktion, die Seeler nicht zufrieden stellte, ihn aber auch nicht zusätzlich reizte, weshalb er es aufgab, weiter in ihn zu dringen.
    Am Abend jedoch, auf der wegen Etes Flucht eilig anberaumten Heimversammlung, zog er erneut vom Leder: Im Westen gebe es doch tatsächlich Leute, die behaupteten, der antifaschistische Schutzwall sei gebaut worden, um die Menschen in der DDR einzusperren. Das sei ja nun die allerdummdreisteste Lüge. In Wahrheit, das wisse jeder, der seine Sinne noch einigermaßen beisammen habe, habe das Volk der DDR mit dieser Maßnahme gegen Menschenhändler, Speckjäger, Abwerber, Spione und Saboteure nichts anderes getan, als eine offene Wunde zu schließen, und damit einen drohenden Krieg verhindert. Die Truppen der Nato hätten ja schon bereitgestanden, um mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor zu marschieren und sich die Errungenschaften des Volkes der DDR einzuverleiben. Nur die tatkräftige Entschlossenheit der Werktätigen der DDR habe das verhindert.
    »Also: Letztendlich hat unser Staat nicht anders gehandelt, als jeder treusorgende Familienvater es tun würde, der seine Wohnungstür zu lange offen stehen gelassen hat. Nachdem die Diebe ihn und seine Familie mehrfach beraubt und bedroht haben, hat er beschlossen, die Tür von nun an abzuschließen.«
    Er machte eine Pause, blickte einem nach dem anderen ins Gesicht und fuhr, noch immer ohne auf Ete zu sprechen zu kommen, in seiner Aufklärungsrede fort. Im Heim höre er öfter das Wort »Mauer«. Da würden einige also den Hetzjargon der Feinde übernehmen; ein Zeichen dafür, dass sie nicht ganz klar im Kopf seien. Man dürfe doch nicht übersehen, dass auf der anderen Seite die Faschisten stünden; schon allein deshalb sei nur die Bezeichnung »antifaschistischer Schutzwall« korrekt.
    Alle warteten darauf, dass er endlich auf Ete zu sprechen kam; als es so weit war, schwoll ihm der Kopf an. Er geißelte »den Kern« als unzuverlässiges Subjekt, spießbürgerlichen Dummkopf und eiskalten Verräter. »Hab immer gewusst, wie er einzuschätzen war. So leicht macht mir keiner was vor. Andere aber sind auf ihn hereingefallen und ihm sogar noch im Verrat treu geblieben.«
    Alle wussten, wer damit gemeint war. Blicke wurden gewechselt, der eine oder andere grinste Manne zu. Und Hanne Gottlieb stieß ihn an und flüsterte: »Bin auch bald weg. Kommste mit?«
    Das war, in dieser Situation, so komisch, dass er laut lachen musste. Seeler bezog seine Heiterkeit auf sich, krauste Stirn und Nase und polterte noch heftiger los. »Wer solch einen Verrat an unseren Werktätigen auch noch lustig findet, hat offensichtlich ganz und gar nichts begriffen. Aber da soll sich niemand falsche Hoffnungen machen: Wir sind es, die siegen werden! Weil wir die Interessen des Volkes vertreten. Der antifaschistische Schutzwall, das war ja nur der erste Schritt. Schon bald werden sie noch dümmer aus ihrer Persil -gewaschenen Wäsche kucken, die Herren Revanchisten und Möchtegern-Eroberer.«
    Es wurde langweilig, die Ersten blickten ungeduldig. Seeler bemerkte es und wechselte die Tonart. Leutselig verkündete er, dass die, die auf der richtigen Seite stünden, schon bald mitbekommen würden, dass es nun, »da uns der Kapitalist nicht mehr unsere besten Fachleute abwerben kann«, rasch aufwärts gehen werde. Und, nein, man werde zu keinerlei Strafmaßnahmen greifen, sondern großzügig sein und all den Grenzgängern und Währungsgewinnlern, »die nun bei uns anklopfen müssen«, Arbeit und Brot geben. »Sie werden schon noch einsehen, dass sie nur Verführte waren, Dummgehaltene, Hereingefallene. Und haben sie das endlich begriffen, werden wir ihnen nichts mehr vorwerfen. Sollen sie mithelfen beim Aufbau des Sozialismus, sollen sie dazugehören zur großen Schar derjenigen, die eines Tages von sich sagen dürfen, dem Fortschritt der Menschheit gedient zu

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