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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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›Sozialistische Brigade‹ bestehen wollt. Wie wollt ihr, liebe Genossinnen und Genossen, auf diese Weise zur Stärkung unserer Republik und damit zum Schutz der Staatsgrenze beitragen?«
    Albert, der Heizer: »Im Getriebebau gibt’s ja gar keine Kolleginnen. Und erst recht keine Genossen und Genossinnen.«
    Erneutes Gekicher! Sogar Richard Diek, der Betriebsversammlungen hasste, weil sie aus seiner Sicht nichts als teure Amüsiervergnügen waren, huschte ein Sonnenscheinchen über das ansonsten nur missmutig verzogene Gesicht.
    Natopil brachte Beispiele. In der Schwesterbrigade des Partnerbetriebes in Dresden sei man schon viel weiter, stünden die Genossen in vielen Punkten besser da. Das müsse man leider zugeben. Wozu Augenwischerei betreiben? Die Tatsachen seien nun mal leider nicht wegzuleugnen. Danach knöpfte er sich andere Abteilungen vor, lobte auch mal, um deutlich zu machen, dass unter seiner Leitung nicht alles schlecht sein konnte, und brachte in diesen Fällen immer wieder sein Lieblingswort an: »noch besser«; alles konnte »noch besser« werden. Das Transparent über der Bühne, das immer da hing, bestätigte es: Noch besser arbeiten, noch besser lernen, noch besser leben. Pius hatte mal drunter geschmiert: Noch mehr fressen, noch mehr scheißen. Nach dem Täter war ewig gefahndet worden, doch niemand hatte Pius verraten.
    Auch die Jugend, so Natopil kurz vor Ende seiner kämpferischen Rede, könne vieles, ja, müsse vieles noch besser machen, wolle sie eine echte Kampfreserve der Partei sein. »Es gibt kein kämpferisches Jugendleben bei uns.« Er streckte den Arm in Richtung Flutgraben aus. »Dort steht der Feind. Unsere tapferen Grenzsoldaten und Kampfgruppenmänner halten Wacht. Ihr aber, liebe Jugendfreunde, schlaft. Ich fordere euch auf, meldet euch bei der Nationalen Volksarmee, tretet der Kampfgruppe bei, reiht euch ein bei denen, die den Fortschritt verteidigen. Wir dürfen nicht zulassen, dass aus unserer Jugendorganisation ein Geselligkeitsverein wird, zuständig allein für Tanzveranstaltungen, Ferienfahrten und Theaterbesuche.«
    »Und wie soll’n wir dann den Plan erfüllen?« Erst schüttelte Pius in gespielter Besorgnis nur den Kopf, dann steckte er plötzlich zwei Finger in den Mund und pfiff so schrill und grell, dass der ganze Saal zusammenfuhr. Gleich darauf blickte er lausbübisch grinsend in die Runde: Schaut nur alle her, Pius ist auch noch da!
    Auch der Genosse Natopil war erschrocken zusammengefahren, hatte sich aber gleich wieder gefasst, deutete auf Pius und fuhr den vor Scham errötenden FDJ-Sekretär Brenner erregt an: »Da! Da sitzen sie, die Störenfriede und Schmarotzer, Nichtstuer, Drückeberger und Schluderer, die uns auf unserem Weg in eine bessere Zukunft Steine in den Weg legen. Um solch schäbige Elemente müsst ihr euch kümmern, wenn ihr euren Kampfauftrag ernst nehmen wollt.«
    Pius, laut: »Ick bin keen Element!«
    Gelächter im Saal, Pius aber ließ sich nicht beirren: »Wer soll denn die Arbeit machen, wenn alle nur noch an der Grenze rumstehn?«
    Da wurde noch lauter gelacht. Ausgerechnet Pius, der Oberbummelant, musste das sagen.
    Kader-Willi tuschelte mit Brenner. Der erhob sich, schob sich das lange, sorgfältig gescheitelte Haar aus dem noch immer rot überhauchten Gesicht und übte Selbstkritik. Ja, in letzter Zeit habe die Jugendorganisation etwas die Orientierung verloren. Vielleicht, weil man in den Jahren zuvor schon so viel erreicht hatte. Eine gewisse Selbstzufriedenheit sei nicht abzuleugnen. Deshalb sei er sehr dankbar für die Kritik des Genossen Natopil, sie werde der Organisation der Jugend helfen, sich in Zukunft wieder verstärkt dem Kampf gegen den Klassenfeind zuzuwenden. In der gegenwärtigen Situation, in der es um die Bewahrung des Weltfriedens gehe, sei das natürlich von ganz besonderer Notwendigkeit. Schon morgen, das verspreche er hier und jetzt, werde der FDJ-Gruppenrat tagen, um zu beratschlagen, wie die Genossen an der Grenze am sinnvollsten unterstützt werden könnten. Sprach es und setzte sich. Kader-Willi, Natopil, Koslowski und Knolle spendeten herzlichen Beifall, im Saal fielen nur wenige ein.
    Das gefiel Koslowski nicht und so ergriff nun er das Wort. Er sei sehr froh, dass der Jugendfreund Brenner das Problem beim Namen genannt habe. Man dürfe sich noch lange nicht zurücklehnen, denn noch sei der Klassenkampf nicht gewonnen, noch sei der Imperialismus nicht geschlagen, noch finde die westliche

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