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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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haben.«
    Wie seine Augen aufleuchteten, als er das sagte! Keine Frage: Der Seeler war überzeugt von dem, was er ihnen eintrichtern wollte. Aber empfand er denn gar keine Trauer über die vielen Weggegangenen? Weil sie ja nur Verräter waren, Dummköpfe? Gestern hast du noch mit ihnen gelacht, heute sind sie schon Feinde, Verbrecher; nicht schade drum? Manne sah Peter Lampe an, der in letzter Zeit sehr still geworden war. Weil er wiedergekommen war, war er kein Subjekt, Dummkopf, Verbrecher und Verräter mehr. Was, wenn Ete eines Tages beim Seeler vor der Tür stand? Würde auch ihm eine zweite Chance geboten? Würde der Seeler zugeben, sich in Ete geirrt zu haben?
    Aber nein, Ete würde nicht wiederkommen; Ete war kein Peter Lampe; Ete wusste, was er wollte.
    Tags darauf gab es auch im Werk eine Versammlung. Nicht wegen Ete Kern. Hätte die Werkleitung wegen jedem Republikflüchtling eine Versammlung abhalten wollen, wäre die letzten drei Wochen über niemand mehr zum Arbeiten gekommen. Es sollte eine große, kämpferische Auseinandersetzung mit dem Klassenfeind werden; Thema: Wie wir alle gemeinsam zur Stärkung des Schutzes unserer Staatsgrenze beitragen können . Auf der Bühne im Speisesaal stand ein mit rotem Fahnentuch geschmückter Tisch, auf dem Tisch ein Rednerpult, bedeckt mit einem blauen Fahnentuch. Hinter dem Tisch saßen die Genossen Funktionäre und Verantwortungsträger. In der Mitte, breit, wuchtig und glattgesichtig, Franz Natopil, seit Jahren Werkleiter, gerecht, geachtet und gefürchtet, links neben ihm, hager und wie immer mal misstrauisch, mal kumpelhaft in die Runde schauend, Edwin Koslowski, der Parteisekretär. Rechts von Natopil, dick und gemütlich, Willi Witeczek, der Kaderleiter, der stolz darauf war, den Namen jedes einzelnen Kollegen zu kennen, und der für alle nur der Willi sein wollte; außen links Matthias Brenner, FDJ-Sekretär, keine fünfundzwanzig Jahre alt, blass und mädchengesichtig, außen rechts Jochen Knolle von der Gewerkschaftsleitung, hager und trotzdem rundnasig, Typ ältlicher Junggeselle.
    Alle fünf machten sie, dem Thema des Tages angemessen, ernste Gesichter, im Saal aber wurde geraucht, geflachst und gelacht, und der Zauberlehrling aus der Expedition, zwischen Richard Diek, Pius und noch ein paar anderen sitzend, machte auch ein vergnügtes Gesicht: Das würde heute mal wieder lustig werden.
    Als Erster sprach Natopil, und natürlich fiel er gleich zu Anfang über den westdeutschen Revanchismus her, geißelte er mit markigen Worten den bornierten Militarismus der Bonner Ultras und verkündete selbstsicher, dass die DDR, jetzt, da sie sich von allen feindlichen Einflüssen abgeschottet habe, das kapitalistische Deutschland in wenigen Jahren ökonomisch überholt haben würde. Seeler und er, im letzten Jahr hatten sie solche Worte nicht mehr in den Mund genommen, jetzt schienen sie wieder aktuell zu sein.
    »Liebe Genossinnen und Genossen«, fuhr Natopil nach dieser Pflichtübung mit seinem leicht mecklenburgischen Akzent fort, »liebe Kollegen und Kolleginnen! Was muss nun unser Beitrag sein im Kampf gegen den westdeutschen Imperialismus und zur Sicherung unserer Staatsgrenze?«
    »Die Planerfüllung«, murmelte Pius und alles um ihn herum kicherte.
    »Die Planerfüllung!«, bestätigte Natopil und rückte wie immer an seiner Krawatte herum, als würde er sich das Hemd am liebsten gleich bis zur Brust aufreißen, weil er schon wusste, dass er bald wieder ganz furchtbar schwitzen würde in diesem von Menschen überfüllten, zigarettenqualmdurchwaberten Raum. Zwar sei man im ersten Halbjahr mit viel kämpferischem Engagement und breitem Ideenreichtum an die Verwirklichung des Planzieles gegangen und liege deshalb insgesamt im Bereich des Erwarteten, doch dürfe das nicht darüber hinwegtäuschen, dass es um einige Bereiche eher schlecht bestellt sei. Das Jahresende sei nicht mehr fern; wolle man im sozialistischen Wettbewerb bestehen, müsse sich in diesen Bereichen noch allerhand ändern.
    Er hatte sich angeschlichen, nun würde er zum Angriff übergehen. Spannend an seiner Rede war nur, welche Abteilung als Erstes ihr Fett abbekommen würde. Natopil entschied sich für den Getriebebau: Die Arbeitszeitauslastung sei zu gering, das Bummelantenunwesen nehme zu.
    Pius: »So werden die nie ’ne sozialistische Brigade.«
    Natopil: »Liebe Kolleginnen und Kollegen vom Getriebebau, ich frage mich ernstlich, wie ihr auf diese Weise im Kampf um den Titel

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