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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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haben.«
    Schweigen. Bis Hahne sich zu Lenz setzte. »Deine Frau?«, fragte er vorsichtig.
    Lenz nickte nur stumm.
    »Hast du ihr was sagen können?«
    »Nicht viel … Aber ob sie mir’s abnimmt?«
    »Sie wird drüber nachdenken.« Hahne strahlte zufrieden. »Und irgendwann wird sie begreifen, dass an der Sache was dran ist. So viel Phantasie hat doch keiner, sich so was Irres auszudenken.«
    Bis zum Abend waren noch ein paar Stunden herumzubringen. Sie versuchten, sich lesend oder schlafend über die Zeit zu retten, merkten aber bald, dass das der denkbar falscheste Weg war, und begannen über alles Mögliche zu reden, nur nicht über den Abend, der vor ihnen lag. In eines dieser Gespräche hinein ging die Tür, Breuning wurde geholt. Schon nach wenigen Minuten kehrte er zurück, die Goldzähne blitzten: Er hielt einen bunten Teller in den Händen.
    Der Nächste, der beschert wurde, war Hahne, und auch Coswig wurde nicht vergessen.
    Als es hinter den Glasziegelfenstern schon dunkelte, ging ein weiteres Mal die Tür. Spartakus brachte einen Brief. Für Lenz. Der nahm ihn nur zögernd entgegen. Bisher hatte er noch keine Post erhalten, vier Monate lang keine einzige Zeile, nun, nach dem ersten Sprecher, auch noch den ersten Brief? Und das trotz seines ungebührlichen Verhaltens?
    Der Brief kam von Robert.
    Lenz drehte den schon offenen Umschlag in den Händen und wagte nicht hineinzusehen. Was würde der Bruder schreiben? Was durfte er ihm schreiben? Doch sicher, wie es den Kindern ging; die Nachricht, auf die er so lange gewartet hatte. Aber hatte er die Kraft, an einem solchen Tag eine solche Nachricht auszuhalten?
    »Kuck rein!«, befahl Hahne. »Kuckste nicht rein, machste dich nur noch verrückter.«
    Zögernd ging Lenz in eine von den anderen möglichst weit entfernte Ecke der Zelle und nahm heraus, was in dem Umschlag war. Zuerst ein Foto von Silke und Michael. Sie saßen in der Sesselecke von Roberts Wohnung, Silke hielt eine Puppe in der Hand, obwohl sie doch schon seit langem nicht mehr mit Puppen spielte, Micha ein kleines Auto; Silke blickte voller Unverständnis und neben aller Traurigkeit auch ein wenig beleidigt in die Kamera, Micha, der weiche Micha, nur voller Ratlosigkeit … Es schüttelte Lenz, er konnte ein lautes Aufschluchzen nicht vermeiden, Tränen flossen. Erst nach geraumer Zeit gelang es ihm, die wenigen Zeilen zu lesen, die Robert dem Foto beigefügt hatte. Den Kindern gehe es gut, schrieb der Bruder, sie würden bei Reni, Kati und ihm Weihnachten feiern. Das Foto sei leider erst jetzt fertig geworden.
    Lenz sah nach dem Datum des Briefes – 15. Dezember. Also hatten sie Brief und Foto schon lange vorliegen, die Genossen im Vernehmertrakt, und bis auf den heutigen Tag gewartet, um ihm diesen Umschlag zu überreichen? Er las den Brief noch einmal, las ihn Zeile für Zeile, Wort für Wort. Es stand aber nichts zwischen den Zeilen, kein Hinweis auf irgendwas. Was hätte Robert ihm denn auch mitteilen sollen? Wie hätte er ihm Mut machen oder Trost spenden können angesichts der Tatsache, dass die Stasi jede Zeile mitlas?
    »Schlimm?« Hahne griff nach dem Foto. Lenz überließ es ihm und begann durch die Zelle zu traben, dreizehn Schritte hin, dreizehn zurück. Irgendwann, er hatte nicht mitbekommen, wie lange er auf und ab gewandert war, fing er Hahnes Blick auf. Der lange Journalist schüttelte den Kopf. Du machst dich fertig, sollte das heißen. Und uns gleich mit. Und als Lenz darauf nicht reagierte, erzählte er von einem seiner ehemaligen Mitgefangenen. »Der armen Sau hatten sie an seinem Geburtstag einen Brief überreicht. Von seiner Frau, die auch einsaß. Darin stand, dass sie sich von ihm scheiden lassen wolle, weil er sie zur Flucht verführt habe. Das hat ihm den Rest gegeben. Vor Wut hat er ausgepackt, alles verraten, was die Stasi noch nicht wusste. Und was soll ich euch sagen: Der Brief war gefälscht! Als er den ersten Sprecher mit seiner Frau hatte, wusste sie nichts von einem solchen Papier, sagte, dass sie ihn noch immer liebe und nie im Leben verlassen würde. Tja, und natürlich war das Corpus Delicti nirgendwo auffindbar. Er hatte ihn ja nicht mit auf die Zelle nehmen dürfen, diesen ominösen Brief, also hatte es ihn nie gegeben.«
    Coswig, mal wieder voller Zweifel: »Das Foto können sie kaum gefälscht haben.«
    Hahne, aufgebracht: »Ich wollte Manne ablenken, du Flachschwimmer, nicht seinen Schmerz vertiefen.«
    »Hört auf!« Lenz unterbrach seine Wanderung,

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