Krokodil im Nacken
ihnen damit ja nicht, machte sich nur selbst fertig. Jetzt sah er Bilder vor sich, die diesen ohnehin nicht sehr stabilen Schutzwall in Bruchteilen von Sekunden in sich zusammenstürzen ließen. Er biss sich auf die Zähne, wollte nicht losheulen, durfte es Hannah doch nicht noch schwerer machen.
Sie sah ihm an, wie ihm zumute war. »Und doch war richtig, was wir getan haben«, sagte sie da auf einmal mit fester Stimme. »So wäre es nicht weitergegangen …«
»Stopp!« Der Leutnant hob beide Hände. »Themenwechsel oder ich muss Sie in Ihre Verwahrräume zurückbringen lassen.«
Da konnte Lenz nicht länger an sich halten. »Na, dann geben Sie uns doch mal ’nen Tipp, worüber wir reden sollen!«, schrie er den Leutnant an. »Vielleicht über den kalten Winter von 1947?«
»Sie haben gehört, was ich gesagt habe.«
Lenz hatte es gehört und begriff, dass es höchste Zeit war, Hannah mitzuteilen, was er von Hajo Hahne erfahren hatte. Beendete der Leutnant diesen Sprecher wegen irgendeiner Unvorsichtigkeit ihrerseits, war es für alles zu spät. Und er musste Hannah doch sagen, dass Hoffnung war. Es war besser, ihr jetzt alles zu sagen und dafür rauszufliegen, als noch fünf Minuten herauszuschlagen und sich wegen irgendeiner Belanglosigkeit von ihr trennen zu müssen.
»Wir haben ja nun einen Rechtsanwalt«, begann er hastig. »Dr. Vogel. Das ist nicht irgendein Rechtsanwalt, wenn einer unsere Ausreise ermöglichen kann, dann er … Ich weiß, dass er …«
»He! He!« Nun war der Leutnant ehrlich empört. »Letzte Warnung.«
»Es wird alles gut. Dr. Vogel ist vom Bundesinnenministerium beauftragt worden. Er wird dafür sorgen, dass wir ausreisen dürfen.«
»Schluss!« Der Leutnant griff zum Telefon.
»Es wird sicher nicht mehr lange dauern, nur ein paar Monate. Die müssen wir noch aushalten. Danach … danach sind wir dann alle wieder beisammen.«
»Seien Sie still!« Nun hatte auch Knut geschrien, so zornig war er auf den Untersuchungsgefangenen Lenz, der das ihm gnädig gewährte Treffen mit seiner Frau für solch staatsverräterische Reden missbrauchte.
Auf dem Flur wurden Schritte laut. Dringlich blickte Lenz Hannah in die Augen. »Kannst dich drauf verlassen. Das ist hundertprozentig.«
Sie nickte, als habe sie ihn verstanden. Aber glaubte sie ihm? Oder vermutete sie, ihr Manne, der ewige Optimist, wollte ihr nur Mut machen? Er konnte ihr ja nichts von Hajo Hahne erzählen.
Die Tür wurde geöffnet, Spartakus wartete.
»Hier!« Missmutig schob der Leutnant Lenz seinen bunten Teller zu. »Den könn’ Se mitnehmen.«
Lenz hätte ihm den Teller am liebsten an den Kopf geworfen. Noch einmal blickte er Hannah an. »Mach’s gut!«
»Du auch«, flüsterte sie unter Tränen.
Im Zellentrakt kreuzte eine andere Gefangenenzuführung ihren Weg. Rasch schob Spartakus Lenz in die nächste freie Zelle und schloss hinter ihm ab. Lenz stellte den Pappteller auf den Tisch, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Er hatte Hannah gesehen – und würde sie von nun an immer so vor sich sehen, das blasse, hilflose Kind in der viel zu großen Trainingsjacke … Ihm kamen die Tränen, er ließ sie fließen, bis ein böses Lächeln sie verdrängte: Was für eine bizarre Komödie war da mit ihnen aufgeführt worden! Seht her, sollte diese »Weihnachtsfeier« wohl besagen, wir zünden unseren Feinden sogar Kerzen an und verteilen Süßigkeiten! Können wir da Unmenschen sein?
Als die Tür wieder geöffnet wurde, hielt er Spartakus seinen bunten Teller hin. »Möchten Sie? Ich vertrag keine Süßigkeiten.«
Verblüfft blickte der blonde Riese in der knapp sitzenden Uniform Lenz an. Wollte dieser Häftling ihn etwa verscheißern? Lenz aber machte ein so ehrliches Gesicht, dass er ihm die gespielte Naivität am Ende abnahm. »Verteil’n Se das an Ihre Mitgefangenen«, murmelte er verlegen. »Die werden ja nicht alle magenkrank sein.«
»Gute Idee.« Lenz stellte den bunten Pappteller auf den Tisch zurück.
»Was soll denn das nu wieder?«
»Entschuldigung!« Lenz nahm den bunten Teller wieder auf. »Bin etwas verwirrt.«
Coswig, Breuning und Hahne hatten Riegel und Schlüssel rechtzeitig gehört; als Lenz die 327 betrat, standen sie neugierig blickend neben ihren Pritschen.
Coswig: »Worum ging’s denn?«
»Bescherung.« Lenz stellte den bunten Teller neben Coswigs Räuchermännchen ab und warf sich auf seine Pritsche.
»Kriegen wir auch so einen?« Breuning!
»Keine Ahnung! Sie können meinen
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