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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Stirnseite des Tischs, mit dem Rücken zum Fenster, hatte der Leutnant Platz genommen und grinste voller Genugtuung über diese gelungene Überraschung.
    Es gab einen Ausdruck für das Gefühl, das Lenz in diesem Moment empfand, in vielen Romanen hatte er diese sechs Worte gelesen. Erst jetzt begriff er, wie viel Wahrheit in dieser zum Klischee verkommenen Formel steckte: »Ihr Anblick zerschnitt ihm das Herz.« Die blasse junge Frau, die ihm da so gespielt vergnügt entgegenlächelte, war seine Hannah – und sie war es auf eine sehr beängstigende Weise nicht.
    Knut: »Da staunen Sie, was? Das hätten Sie nicht gedacht.«
    Lenz antwortete nichts, setzte sich Hannah nur gegenüber, ergriff ihre Hände und streichelte sie. Wie dünn sie geworden war! Alles an ihr wirkte wie durchsichtig. Das dunkelblonde Haar – viel zu lang und ausgefranst, das Gesicht – zu schmal. Ihre Nase war spitz geworden, ihre Augen erschienen ihm dunkler als zuvor. Wie ein Kind saß sie vor ihm in der ihr viel zu großen dunkelblauen Trainingsjacke, unter der das Melkerhemd hervorlugte; ein großes, braves, hilflos wirkendes Kind, das er nicht genügend beschützt hatte und auch jetzt nicht beschützen konnte.
    »Wie geht’s dir?«, fragte sie leise.
    »Gut. Und dir?«
    »Auch gut.«
    »Das ist schön!«
    Der Leutnant blickte kontrollierend auf ihre Hände, die sich noch immer nicht loslassen wollten, dann räusperte er sich, wie um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich jetzt ihm zuzuwenden hätten, und erklärte ihnen seine Bedingungen für diesen ersten Sprecher: »Das hier ist eine Vergünstigung. Wir sind nicht verpflichtet, mit Ihnen Weihnachten zu feiern. Sie dürfen sich nicht berühren und nicht über die Straftat, die Haftbedingungen oder andere Untersuchungsgefangene reden.«
    Sie ließen sich los, Hannah goss Kaffee in die Tassen und legte jedem ein Stück Stollen auf den Teller. Der Leutnant machte weiter sein belustigtes, zufriedenes Gesicht.
    Sie tranken von dem Kaffee, aßen vom Stollen und Hannah studierte Lenz. »Bist blass geworden.«
    »Zu viel Sonne macht nur Falten.«
    »Ich werd’ wohl auch schlimm aussehen.«
    »Nein! Nur den Umständen entsprechend.«
    Sie lächelte, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Lenz sah den Leutnant an. »Wie viel Zeit haben wir denn?«
    »Wenn Sie sich anständig aufführen, sind wir nicht knauserig.«
    »Die Kinder?«, fragte Lenz. »Hast du was von den Kindern gehört?«
    »Silke hat mir einen Brief schreiben dürfen. Sie schreibt … es geht ihr gut.«
    Jetzt konnte Hannah ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Lenz legte sein Stück Stollen auf den Teller zurück. Gut! Allen ging es gut! Was für eine elende Lügerei! »Werden sie heute Abend bei Robert sein?«
    »Ja. Silke hat es mir geschrieben … Sie … sie schreibt schon recht gut.«
    Ein Schluchzen schüttelte Hannah, ihre Schultern bebten. Lenz versuchte, ihr Mut zu machen: »Eines Tages werden sie uns verstehen. Sie werden ja auch erwachsen, dann sehen sie …«
    »Stopp!« Der Leutnant winkte ab. »Geben Sie Ihrem Gespräch bitte eine andere Richtung.«
    »Ist das nicht privat?«
    »Keine Diskussion!«
    Sie schwiegen und Lenz schob auch seinen Kaffee von sich fort. Was sollte das Ganze denn, wenn sie einander nicht einmal Trost zusprechen durften?
    »Willst du wissen, wie es uns in Bulgarien ergangen ist?« Hannah hatte sich wieder in der Gewalt. Vorsichtig begann sie von Burgas und Sofia zu erzählen und blickte dabei immer wieder den Leutnant an. War das, was sie sagte, noch erlaubt? Lenz erfuhr, dass man die Kinder und sie bis zum Rückflug in guten Touristenhotels untergebracht hatte und die Bulgaren sehr freundlich zu den Kindern gewesen waren. »Aber natürlich hatten Silly und Micha große Angst um dich. Ich wusste ja gar nicht, wie ich ihnen das Ganze erklären sollte.«
    Der Leutnant lauschte, schritt aber nicht ein; Lenz starrte auf seine Hände.
    »Am schlimmsten war’s auf dem Rückflug … Silly und Micha, immer wieder haben sie Fragen gestellt, die ich ihnen ja nicht beantworten konnte … Und bei der Landung hat Silly gebrochen … Im Flughafengebäude kam’s dann zur Katastrophe. Silly wollte nicht zulassen, dass man uns trennte … hat geschrien, geweint und sich gewehrt … und Micha hat so große Augen gemacht …«
    In Lenz krampfte sich alles zusammen, ihm wurde heiß, er spürte sein Herz. Während der letzten Tage hatte er sich bemüht, nicht allzu oft an die Kinder zu denken; er half

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