Krokodil im Nacken
aufgehoben?« rief. Da gab er sich einen Ruck, steckte den Fund klopfenden Herzens ein und ging weiter, doch nun immer schneller werdend.
Nein, es trieb ihn nicht zum Fundbüro; das konnte man von einem, der keine fünfzig Pfennig in der Tasche hatte, nicht verlangen. Er betrat die nächste Eckkneipe, bestellte sich ein Bier und ging aufs Klo, um – wie ein Dieb – seine Beute noch einmal zu überprüfen. Dabei erlebte er eine neue Schrecksekunde: Hinter dem Zehnmarkschein steckte ja noch ein Geldschein, so klein gefaltet, dass er ihn beim ersten Hineinblicken übersehen hatte. Und das war kein Zehner, kein Zwanziger, kein Fünfziger – das war ein blanker Hunderter!
Gewissensbisse? Ja! Ein Hunderter war kein Zehner; Lenz sah die alte Frau vor sich, die nun vielleicht ein paar Tage lang nichts zu beißen hatte. Doch sah dieses Portemonnaie denn aus, als würde es einer alten Frau gehören? Das war doch eindeutig eine Männerbörse. Und warum hatte der Besitzer denn keine Adresse drinstecken? Ein Name – Karl Krause, Dunckerstraße 24, Rentner – hätte es ihm nicht gestattet, das Portemonnaie zu behalten. Dann hätte er nur auf Finderlohn hoffen dürfen. Aber so? Selbst schuld, wer so unvorsichtig war! Er ging in die Gaststube zurück, trank sein Bier, gönnte sich noch ein zweites und ging danach einkaufen: Brot, Schmalz, Wurst, Brühwürfel. In seiner Küche aß er sich satt und steckte nebenbei sein einziges weißes Hemd in den Kochtopf. Wenn er es nach dem Waschen vor den Ofen hängte und danach trockenbügelte, würde er es am Abend anziehen können.
Nach dem Essen aber fühlte er sich noch müder und wollte sich nur mal kurz auf der Couch ausstrecken. Dabei schlief er ein. Als er wieder erwachte, dämmerte es draußen bereits. Er blieb noch ein bisschen liegen, gähnte und reckte sich und dachte an den Abend, der vor ihm lag – als er plötzlich Verbranntes roch: Sein Hemd! Hastig sprang er auf, stürzte in die Küche – und da schwebte sein weißes Prachtstück schon in grauschwarzen, an zierliche, im Wind treibende Herbstblätter erinnernden Flocken durch die Luft und die Gasflamme züngelte lustig durch den durchgebrannten Topfboden.
Noch immer nicht ganz wach, dachte er bloß, dass er nun also nicht zum Fasching gehen würde. Was sollte er dort ohne ordentliches Hemd? Verärgert stellte er das Gas ab und fing die dicksten Flocken ein und bestattete sie samt bodenlosem Topf im Mülleimer, dann legte er sich wieder auf die Couch. Am besten, er schlief gleich weiter, einen so beschissenen Tag hatte er schon lange nicht mehr erlebt. Im Halbdämmer jedoch durchzuckte es ihn: Was redete er sich denn da ein? Er war ein Glückspilz, kein Pechvogel! Erst fand er Geld und dann – er lebte ja noch! Es hätte ja auch die Flamme ausgehen und er durch das ausströmende Gas aus seinem Schläfchen in den ewigen Schlaf hinübergleiten können. Oder jemand im Treppenhaus hätte sich eine Zigarette angezündet und es hätte eine Gasexplosion gegeben. Dann wäre das ganze Haus in die Luft geflogen, mitsamt der jungen, blonden Mutter und ihrem Kind, der fetten Portierschen und ihrer Enkelschar und allen anderen Nachbarn. Das aber hatte der Große Regisseur mit der Zauberhand nicht gewollt; vielleicht, damit er ihm das großzügige Geldgeschenk nicht ganz umsonst gemacht hatte?
An jenem Tag hatte er von dem Kupferbarren-Abenteuer, das ihn erwartete, noch nichts gewusst und deshalb nicht lange nachgedacht; da war er nur plötzlich hellwach und ungeheuer gut gelaunt. Hastig wusch er sich und warf sich in Schale. Für die S-Bahn reichte auch ein kariertes Hemd, und vielleicht hatte Eddie ja gerade gewaschen, dann konnte er sich für den Abend eines von dessen Hemden ausleihen.
Und tatsächlich, Eddie hatte gewaschen! Staunend hörte er sich Lenz’ Geschichte an, willig opferte er eines von seinen weißen Hemden, ungeduldig reihten sie sich vor der Großgaststätte Plänterwald in die Schlange der Wartenden ein – nicht ahnend, dass in eben dieser Schlange, irgendwo vor oder hinter ihnen, Hannah sich die Beine abfror. Der schöne, vorfrühlingshaft freundliche Tag hatte ja längst einem eisigen Winterabend Platz gemacht.
Nur ein Einziger der Wartenden war im Kostüm erschienen: Clown mit Pappnase, Brille und falschem Schnurrbart. Ein Weilchen blickte er sich nervös um; als er endgültig erkannt hatte, dass er hier nicht im Rheinland war, verschwand er still. Später entdeckte Lenz ihn wieder, im Anzug, mit weißem
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