Krokodil im Nacken
Hemd und Schlips. Kostümiert waren hier nur der Elferrat und die Mädchen von der Glühwürmchen-Garde in ihren kurzen Röckchen: junge Arbeiterinnen aus dem VEB Glühlampenwerk.
Eddie und er hatten Glück, sie erwischten einen großen Tisch, an dem bald noch andere, lose mit ihnen befreundete Faschingsprinzen Platz nahmen. Der Abend konnte beginnen. Nicht lange und Lenz ließ den Blick schweifen: Wo saß sie denn, die Sternschnuppe dieses Abends? Meistens dauerte es lange, bis er fündig geworden war, an diesem Abend entdeckte er sie sofort: Nur vier, fünf Tische weiter saß sie, die Auserwählte, groß war sie, schlank, dunkelhaarig und sehr, sehr hübsch. Hatte sie ihn auch gesehen? Es war nützlich, wenn man vorher schon mal Blickkontakt hatte, dann wusste man gleich, ob man als Typ infrage kam oder schon vor dem ersten Tanz durchgefallen war.
Seine Prinzessin aber sah nicht nach rechts, nicht nach links, nicht geradeaus, so angeregt unterhielt sie sich mit der ein wenig kleineren Blonden, mit der sie sich an einem Zweiertisch niedergelassen hatte. Ungeduldig lauerte Lenz darauf, dass Fred Ries und seine Combo endlich loslegten. Als es so weit war, sprang er wie auf Knopfdruck auf, war aber dennoch nicht der Schnellste; seine große, schlanke Dunkle im rückenfreien Kleid entschwebte mit einem anderen flinken Fritze. Mit falschem Charme forderte er ihre Tischnachbarin auf, drehte sich ein paar Mal mit ihr im Kreis und knüpfte ein Gespräch an, um irgendwann – möglichst unauffällig – auf ihre Freundin zu sprechen zu kommen. Als die Blonde, auch hübsch, für Lenz’ Geschmack aber viel zu blond, zum ersten Mal den Mund aufmachte, zuckte er zusammen. Was war denn das für ein Dialekt?
»Woher kommen Sie denn?«
»Aus Frankfurt.«
»An der Oder?«
»Am Main.«
Eine Antwort, die ihm erst mal die Sprache verschlug. Er war doch hier nicht am Kudamm; was hatte ein Mädchen aus Frankfurt am Main in der Großgaststätte Plänterwald verloren? »Zu Besuch in Berlin?«, fragte er weiter.
»Bei meinen Eltern. Und meiner Schwester.«
Langsam, langsam! Wenn ihre Eltern und ihre Schwester in Berlin lebten – und damit war ja sicher OstBerlin gemeint, wenn sie hier Fasching feierte –, dann musste diese Blonde irgendwann in den Westen gegangen sein. Wie aber hätte sie dann so einfach zu Besuch kommen und wie so schnell den Frankfurter Dialekt übernehmen können?
Um herauszufinden, was hinter all dem steckte, hätte er ein Verhör mit der Blonden anstellen müssen. Aber der Tanz war ja gleich zu Ende und er musste doch noch auf die große Dunkle zu sprechen kommen. So fragte er nur noch, ob sie ihm nicht ihren Namen nennen wolle. Er selbst heiße Manfred. »Meine Freunde rufen mich aber nur Manne.«
Sie sagte, sie heiße Ursula, ihre Freundinnen riefen sie Usch.
Er wollte weiterfragen, ob denn die große Dunkle an ihrem Tisch ihre Schwester sei und wie sie heiße, doch da war die Musik schon verklungen und er musste diese Usch an ihren Tisch zurückbringen.
Beim nächsten Tanz war er schneller als alle anderen – er hatte sich gar nicht erst hingesetzt – und erwischte die große Dunkle. Ihr war aufgefallen, wie hastig er auf sie zugestürzt kam, verwundert kuckte sie ihn an. Kaum hatte er sie im Arm, kam er zur Sache. »Sind Sie die Schwester? Oder die Freundin?«
»Von wem?«
»Na, von Usch!« Er tat, als hätte er sich mit ihrer Tischnachbarin bereits bestens angefreundet.
»Die Oma«, antwortete sie nur schnippisch, und da musste er natürlich noch eins draufsetzen, um sie zum Lachen zu bringen: »Gott sei Dank nicht der Opa!«
Sie lachte tatsächlich, schwieg dann aber wieder.
»Kommen Sie denn auch aus Frankfurt – am Main?« Die Dunkle babbelte nicht so ein Hessisch wie die Blonde, aber aus Berlin war sie ebenfalls nicht, dafür hatte er ein Ohr.
Sie sah ihn aufmerksam an, er lächelte harmlos. Sie sollte um Himmels willen nicht glauben, er wäre irgend so ein Aushorcher vom Dienst. Na ja, eigentlich komme sie ja auch aus Frankfurt, antwortete sie schließlich zögernd, aber nun lebe sie in Berlin. Und Usch, die sei nur ihre Stiefschwester.
Er strahlte sie an. Toll, dass sie auch in Berlin wohnte! Um sicherzugehen, hakte er aber noch einmal nach: »In OstBerlin?«
»Ja, natürlich! Sonst würde ich kaum hier tanzen gehen.«
»Prima!«
»Was ist prima?«
»Na, dass wir uns jetzt öfter sehen werden – wenn Sie wollen!«
Er strahlte weiter so heftig, und da wurde sie, wie sie ihm
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