Krokodil im Nacken
später gestand, zum ersten Mal ein wenig neugierig auf ihn. Was ist denn das für einer, dachte sie, macht der bei jeder so einen Wind oder ist er tatsächlich so beeindruckt von mir? Er aber war trotz aller Begeisterung noch immer am Rätseln: Wenn sie aus Frankfurt am Main kam und jetzt in OstBerlin lebte, musste sie so eine Art weiblicher Erwin Pietras sein, und da Usch gesagt hatte, dass sie Schwester und Eltern besuchte, mitsamt ihren Eltern in den Osten gegangen sein. Aber weshalb? Was steckte dahinter? Hatten Vater oder Mutter nach OstBerlin geheiratet und sie war mitgegangen, um nicht allein zurückzubleiben? Eine verwirrende Geschichte. Und allzu intensiv fragen durfte er nicht, sonst verdächtigte sie ihn womöglich doch noch, ein Spitzel zu sein.
»Übrigens: Ich heiße Manfred.«
»Aha!«
»Und Sie, wie heißen Sie?«
Wieder sah sie ihn erst lange an, und er dachte: Mein Gott, hat die schöne blaue Augen! Die sind ja wie zwei große, freundliche Badeseen, in denen man drin versinken und nie wieder auftauchen möchte.
»Meinen Namen kann man von hinten nach vorn genauso lesen wie umgekehrt. Raten Sie doch mal!«
Er spielte mit. »Otto?«
»Nein!«
»Anna?«
»Wieder falsch.«
Da drängelte er. »Der Tanz ist gleich zu Ende und ich hab noch zwei andere ganz wichtige Fragen.«
»Also gut: Ich heiße Hannah. Mit h am Ende.«
»Schöner Name!« Hannah mit h am Ende war auf jeden Fall tausend Mal interessanter als Hanna ohne h am Ende.
»Und die anderen zwei Fragen?«
»Erstens: Darf ich gleich mal um alle nächsten Tänze bitten?«
Sie musste lächeln. »Sagen wir erst mal um die nächsten drei.«
»Einverstanden!« Er durfte schon wieder strahlen. Was bedeutete diese Antwort denn anderes, als dass sie ihn zumindest nicht unsympathisch fand?
»Und die letzte Frage?«
»Wollen wir heiraten?«
Die Badeseen traten über die Ufer. Er hatte so ernsthaft gefragt, wie hätte sie da an das Faschingsstandesamt denken sollen? Dort konnte man für drei Mark Gebühr getraut werden, bekam eine Urkunde und durfte sich küssen. Als ihr das bewusst geworden war, schüttelte sie den Kopf.
»Nein?«, fragte er bestürzt.
»Doch«, sagte sie und nickte dazu, um weitere Missverständnisse vorzubeugen. Es war nur diese seltsame Fehlinterpretation, über die sie den Kopf geschüttelt hatte.
Da reichte kein Strahlen mehr, da hätte er seine große Dunkle am liebsten sofort abgeküsst. Er musste sich aber noch ein bisschen gedulden, bis dieser erste Tanz vorüber war, erst dann durfte er sie vors Standesamt zerren, wo schon jede Menge andere heiratswillige Paare eine Schlange bildeten. Verlegen plauderten sie über alles Mögliche, bis sie endlich an der Reihe waren. Lenz entrichtete den Obolus, überreichte Hannah die Urkunde und durfte sie küssen.
Kein kurzes Vergnügen, doch achtete Hannah darauf, dass es nicht zu lange andauerte. Und natürlich wurden die folgenden drei Tänze für Lenz sehr schön; sie waren ja nun ein Ehepaar, da mussten sie beim Tanzen nicht mehr so viel Abstand halten.
Sie tanzten noch oft miteinander, hin und wieder aber auch mit anderen Partnern, verloren sich zwischen Foxtrott, Tango, Polonaise und Rock ’n’ Roll aus den Augen und fanden sich wieder. Dafür sorgte Lenz schon. Sie tranken an der Bar mehrere Prärieaustern, und kurz vor Mitternacht erhielt er von ihr das Versprechen, dass er sie später nach Hause bringen durfte.
Der nicht so erfolgreiche Eddie tröstete sich damit, dass sein Freund, der Krösus, ihn den ganzen Abend über freigehalten hatte – Leihgebühr fürs Hemd –, und verschwand schon zur Insel hinüber, während Lenz noch an der Garderobe auf seine Hannah mit h wartete.
Auch die blonde Usch war nicht allein geblieben, ein brünetter, fast schon spanisch aussehender Lichtenberger klebte an ihr. So nahmen sie den Heimweg der Mädchen zu viert in Angriff; leider nur ein Fußweg von zehn Minuten.
Es war eine eiskalte Nacht, der Wind pfiff durch die Neue Krugallee und Hannah fror jämmerlich. Aber sie hielt aus. Die Haustür in Sichtweite und in gehörigem Abstand von Usch und ihrem Spanier, küssten und küssten sie sich, und wäre es nach Lenz gegangen, wären sie in dieser Nacht auf der Straße erfroren, nur damit er sich nicht von ihr losreißen musste. Als sie dann doch endlich voneinander abließen, verabredeten sich beide Paare für den Sonntagabend, wollten sich also noch am gleichen Tag wieder treffen. Da würde im Café Orankesee , in einem ganz
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