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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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anderen Teil der Stadt, Fasching gefeiert.
    Lenz’ Heimweg zog sich hin. Die letzte S-Bahn in Richtung Prenzlauer Allee war längst weg, bis die erste wieder fuhr, musste er über eine Stunde warten. Wie eine Statue stand er auf dem frei und erhöht liegenden Bahnhof Plänterwald. Den Kragen seines Mantels hochgeschlagen, die Hände tief in den Taschen, starrte er mit seligen Augen zum sternklaren Winterhimmel hoch. Diese Hannah – sie könnte es sein! Wenn sie nur bei ihm blieb; womit sollte denn ausgerechnet er ein solches Mädchen verdient haben?
    Am Abend trafen sie sich wieder, feierten noch einmal Fasching und standen in der Nacht erneut zu viert in der Neuen Krugallee und konnten sich nicht trennen. Für den Spanier hieß es, endgültig Abschied zu nehmen. Die blonde Usch fuhr am nächsten Tag nach Frankfurt am Main zurück, wohin Spanier aus Berlin-Lichtenberg nun mal nicht folgen durften. Lenz hatte nicht die Absicht, sich so rasch aus Hannahs Leben zurückzuziehen. Er verabredete sich mit ihr fürs nächste Wochenende, und sie musste ihm zehn- bis zwanzigmal versprechen, auch wirklich zu kommen. Wie hätte er ihren Schwüren denn trauen sollen? Eine Woche war eine verdammt lange Zeit und vielleicht war er für sie ja nur eine Faschingsbekanntschaft. Die verfluchte Nachmittagsschicht jedoch, die ihm jedes Mal den ganzen Tag stahl, verhinderte ein früheres Treffen.
    Es wurde die längste Woche seines Lebens, diese fünfeinhalb endlosen Tage im Zweifel. Weshalb sollte Hannah am Sonnabend denn kommen? Sie konnte bis dahin doch jede Menge viel tollere, ihr ebenbürtigere Männer kennen gelernt haben. Immerhin arbeitete sie bei der Staatlichen Filmabnahme, eine Art Zensurbüro; jeder Film, der in der DDR gezeigt werden sollte, auch Kurz-, Dokumentar- und Werbefilme, musste zuvor dort genehmigt werden. Keine Frage, dass die Filmfritzen dort nur so um sie herumschwirrten; was sollte sie da auf einen noch nicht mal neunzehnjährigen Waggonentlader warten, der sich erst mal ein neues weißes Hemd kaufen musste, um überhaupt vorzeigbar zu sein?
    Wie er nach dieser Woche an der Straßenecke zur Neuen Krugallee stand und zu ihrem Fenster hochstarrte! Sie hatten verabredet, dass er dort warten sollte; es war zu blöd, direkt vor der Haustür herumzustehen. Im vierten Stock wohne sie, hatte sie gesagt, und so hefteten sich seine Augen dort oben fest – und irgendwann sah er in einem der Fenster ihren Kopf auftauchen. Sein Herz machte einen Hüpfer. Sie hatte ihn nicht vergessen, wollte sich nur vergewissern, dass er auch wirklich gekommen war!
    Als sie dann endlich vor ihm stand in ihrem blauen Mantel mit dem weißen Schal, waren sie beide sehr verlegen. Fasching war das jetzt nicht mehr, so viel stand fest, aber was war es? Und was würde es noch werden?
    Weil sie nicht wussten, was sie anderes tun sollten, gingen sie mal wieder tanzen. Großgaststätte Plänterwald . Doch nun tanzten sie gar nicht mehr so viel, saßen sie nur an ihrem Zweiertisch und redeten, und Lenz konnte nicht glauben, was er erfuhr: Diese Hannah war eine Leseratte, verschlang jede Woche mehrere Bücher, ging gern ins Kino und liebte das Theater. Was sollte er dazu noch sagen? Der liebe Gott hatte sie für ihn maßgeschneidert! Bald ließen sie alle Tanzgaststätten links liegen, klemmten sich dafür immer öfter ins Kino – letzte Reihe, da waren sie unbeobachtet – oder ins Theater und brachten sich gegenseitig Lektüre mit. Meistens aber gingen sie nur spazieren. Weil es sich dabei am besten reden ließ. Durch die Stadtmitte, den gesamten Prenzlauer Berg, den nächtlichen Plänterwald zog es sie. Dabei erzählte er ihr sein Leben und sie erzählte ihm ihres. Und wieder stellten sie Gemeinsamkeiten fest: Was für ihn sein Onkel Willi, war für sie ihre Stiefmutter Hilde; er hatte seine Mutter mit dreizehn verloren, sie ihre mit fünfzehn. Als Kinder hatten sie oft ähnliche Gedanken und Gefühle gehabt und sogar dieselben Schlager gemocht; was er mit Eddies Cousine Evi, das hatte sie mit einem jungen Mann namens Bernie erlebt. Manchmal wurde ihnen richtig unheimlich zumute. Konnte das alles mit rechten Dingen zugehen? Der Große Regisseur mit der Zauberhand, meinte er es so gut mit ihnen?
    Sprachen sie nicht über Bücher, Filme, das Theater, ihre Kindheit oder Zukunftspläne, erfand Lenz für Hannah Märchen. Sie wusste bereits, dass er schrieb und vom Theater träumte, und seine Geschichten gefielen ihr. Aber ob er wirklich Talent hatte,

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