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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Hannah musste ihn trösten, obwohl sie nicht weniger verärgert war. So dicke hatten sie es ja nicht. Mitten hinein in ihre beruhigenden Worte aber musste er plötzlich lachen, und Hannah glaubte schon, er hätte das Geld doch noch gefunden. Er hatte aber nur begriffen, was wirklich passiert war, und zum ersten Mal erzählte er Hannah, wie viele Wunder geschehen mussten, damit sie einander kennen lernten.
    Erst zweifelte sie seine Geschichte an – er war ja der Märchenerzähler –, dann gingen sie, eng umschlungen auf der Couch liegend, all die Zufälle, die sie zusammengebracht hatten, noch einmal miteinander durch.
    Erstens: Wenn er an jenem Sonnabendmorgen nicht zur Wehrerfassung gemusst hätte, hätte er die hundert Mark nicht gefunden, und dann wäre er am Abend ganz sicher nicht in den Plänterwald hinausgefahren. So blank, wie er war, hätte es ja nicht mal für eine Limonade gereicht.
    Zweitens: Wäre er nicht so pleite gewesen, hätte er vier ordentliche Passbilder abgegeben und niemand hätte ihm befohlen, noch am selben Tag in die Winsstraße zu gehen. Und dann hätte er die hundert Mark ebenfalls nicht gefunden; allerdings auch gar nicht gebraucht.
    Drittens: Wäre an jenem 3. März nicht Chruschtschow nach Berlin gekommen und er deshalb auf dem Rückweg von der Winsstraße nicht aufgehalten worden, wäre er viel zu früh durch die Dunckerstraße gekommen, um das Portemonnaie zu finden. Denn lange hatte und hätte es dort bestimmt nicht gelegen.
    Viertens: Genau das Gleiche wäre passiert, hätte er nicht auch noch Gerdchen Pisternik getroffen.
    Fünftens: Der Gasherd! Wenn die Flamme ausgegangen wäre, wäre Hannah Witwe geworden, noch bevor sie sich kennen gelernt hätten.
    Sechstens: Was, wenn Eddie nicht gerade frisch gewaschen hätte? Mit einem karierten Hemd wäre er keinesfalls im Plänterwald angetanzt, Fasching hin oder her.
    Siebtens: Was, wenn die arme Kirchenmaus Lenz eine übertrieben ehrliche Maus gewesen wäre? Dann hätte er das Geld auf dem Fundbüro abgegeben und die arme Hannah wäre von irgendeinem grimmigen Waldschrat vor das Faschingsstandesamt geschleppt worden.
    Sieben Zufälle, sieben Wunder? Eines stand auf jeden Fall fest: Der mit der Zauberhand hatte ihnen ein Darlehen gewährt – und es an diesem Tag mit Zins und Zinseszins zurückgefordert! Eine sehr rabiate Rückforderung, aber hatte sich sein Schuldner Lenz damit nicht wieder ehrlich gemacht? Zumindest symbolisch?
    Tags darauf quetschten sie sich zu zweit in eine Telefonzelle, um das Fundbüro anzurufen. Doch niemand hatte zwei Fünfzigmarkscheine, einen Zwanziger und einen Zehner dort abgegeben. Eine nun schon fast beruhigende Nachricht; blieb nur zu hoffen, dass der Große Regisseur dieses Geld wieder so sinnvoll angelegt hatte.
    Eine verrückte Geschichte – und doch: eine wahre Begebenheit!

4. Heller als die Sonne
    H annahs Vater, obwohl aus Frankfurt am Main zugezogen, war gebürtiger Berliner. In dem von ihm oft besungenen Stadtteil Schöneberg war er zur Welt gekommen, auf den Tag zehn Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Seine Eltern lebten in einer Laubenkolonie, der Vater war Sozialdemokrat und Straßenbahner. Geprägt jedoch wurden H.H.M., wie Hans Henning Möller sich selbst gern nannte, und seine beiden jüngeren Brüder mehr vom unglaublichen Egoismus ihrer Mutter. Mutter Möller hatte stets grüne Waldmeisterbonbons in den Taschen ihrer Kittelschürze stecken, ihren Söhnen aber, den verfluchten Krepeln, die ihr nur Arbeit machten, opferte sie keinen davon. Ein Trauma für die Söhne ihr Leben lang.
    Weil Vater Möller wünschte, dass der Älteste seiner drei Söhne studierte, entschied H.H.M. sich dafür, Bauingenieur zu werden. Das Studium finanzierte er durch Auftritte in Tanzcafés. Als Stehgeiger. Es waren die berühmten »Goldenen Zwanziger«; der »Tanz auf dem Vulkan«. H.H.M. aber fiedelte nicht nur, er engagierte sich auch politisch, wurde einer der ersten SA-Männer der Stadt und nach Hitlers Machtübernahme als Belohnung für frühe Treue zum Ortsgruppenleiter ernannt und beim Autobahnbau als Bauführer eingesetzt; eine Tätigkeit, die strategische Bedeutung hatte, weshalb er bei Kriegsbeginn erst mal u. k. gestellt wurde. Dass er dann später doch noch zur Front eingezogen wurde, hatte mit seiner eigenen Dummheit zu tun: Der Ortsgruppenleiter Möller hatte irgendwelche Gelder nicht korrekt abgerechnet, als Strafe hatte er sich vor dem Feind zu bewähren. Eine Verirrung, über die

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