Krokodil im Nacken
egal ob zum Spielen oder Schreiben? Da zog die realistische Hannah es vor, seine Zweifel zu teilen. Gab ja noch andere schöne Berufe.
Der erste Versuch, miteinander zu schlafen, misslang. Es war nach sechs Wochen, auf einer von allen Wegen weit abgelegenen und hinter hohen Büschen versteckten Wiese im nächtlichen Plänterwald. Lenz war viel zu aufgeregt und natürlich schämte er sich seines Versagens. Später, in seiner Wohnung im dritten Hinterhof, durfte er zu seiner Erleichterung feststellen, dass jene Verzweiflungstat mit Evi doch nicht das erste und letzte Mal in seinem Leben gewesen sein sollte.
Besuchte Hannah ihn in seiner Wohnung, bewirtete er sie mit belegten Brötchen, auf denen er ihr mit Tubenmajonäse seine Liebe gestand; übernachtete sie bei ihm, schliefen sie lange und gingen gegen Mittag in ein kleines Restaurant an der Schönhauser Allee: zweimal Paprikaschnitzel mit Spaghetti, ein Bier, ein Glas Wein.
Ihr Lieblingsplatz aber war die längst außer Betrieb genommene Dampferanlegestelle vor dem Alten Eierhäuschen , einem über Generationen hinweg sehr beliebten, inzwischen halb zerfallenen und seit ewigen Zeiten geschlossenen Ausflugslokal am Plänterwald. Ob Sommer oder Winter, stundenlang standen sie eng umschlungen auf der alten Anlegebrücke und sahen zu den Lichtern vom Kraftwerk Klingenberg hinüber, die sich in der nachtschwarzen Spree widerspiegelten. War es eine wolkenlose Nacht, blinkten am Himmel so ungeheuer viele Sterne, dass sie das Staunen überkam.
Als Lenz ins Krankenhaus musste, besuchte Hannah ihn oft, obwohl sie dazu jedes Mal durch die ganze Stadt zu fahren hatte. Dabei war es allein ein dämliches Furunkel auf der Oberlippe, das, anstatt endlich mal zu platzen, immer größer wurde, das ihn dort hineingebracht hatte. Hannah aber kam und kümmerte sich, und als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte sie seine gesamte Wohnung in Ordnung gebracht. Alles war geputzt und umgestellt, auf dem Tisch standen Blumen. Was für ein Gefühl ihn da überkam: Sie hatte das für ihn getan! Was konnte das anderes bedeuten, als dass sie ihn wirklich liebte?
Eines Sonntags fuhren sie auf den Friedhof hinaus. Hannah wollte seine Mutter und Wolfgang besuchen. Es war ein knackig schöner Sommertag, er stand vor dem S-Bahnhof Prenzlauer Allee und wartete auf sie. Sie kam – und war an diesem Tag besonders schön: luftig-leichtes, helles Sommerkleid, weiße Schuhe, das dunkle Haar sehr lockig, die Augen strahlend. Er konnte es mal wieder nicht fassen, dass diese junge, schöne Frau sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatte.
Sie legten Blumen auf das Doppelgrab, wanderten Hand in Hand um den Weißen See und Hannah wollte immer noch mehr über seine Kindheit wissen. Nie zuvor hatte Lenz sich so verstanden gefühlt, nie zuvor war er so glücklich gewesen. Ja, lange hatte es gedauert, bis er sich endlich mal um ihn kümmerte, der schlafmützige Große Regisseur auf seinem weichen Wolkenlager, dann aber hatte er sich mächtig ins Zeug gelegt und ihn zielsicher auf diejenige zugeschubst, auf die er schon so lange gewartet hatte.
Im März hatten sie sich kennen gelernt, Silvester war Verlobung, im Mai folgenden Jahres wurde aus der Faschingshochzeit Ernst und das frisch getraute Ehepaar Hannah und Manfred Lenz zog in eine kleine Wohnung im Prenzlauer Berg: Quergebäude, Zimmer mit Küche, Klo eine halbe Treppe tiefer, aber wenigstens im Winter nicht zugefroren. Sie renovierten alles und richteten sich so gut es ging ein; sie war zwanzig, er neunzehn Jahre alt.
Die unglaubliche Geschichte jenes 3. März sollte aber noch weitergehen. Kaum hatten Lenz und Hannah ihren Nestbau beendet, machten sie mal wieder einen ihrer vielen Spaziergänge, kamen dabei auch durch die nahe gelegene Dunckerstraße und in Lenz’ Jackentasche steckten ein paar Geldscheine. Sie brauchten noch so vieles, und falls sie etwas Schönes oder Nützliches entdeckten, mussten sie es sofort kaufen, anderntags war es gewiss nicht mehr da.
Es war ein wunderschöner Julitag und so kamen sie erst spät nach Hause, und als Lenz gut gelaunt das Geld aus der Jacke nehmen wollte, um es in Hannahs Zigarrenkiste zurückzulegen, fand er es nicht mehr. Ihm wurde heiß, er durchwühlte alle Taschen, und am Ende stellte er fest, dass das Futter seiner Innentasche an der Naht aufgerissen war: Er musste das Geld verloren haben! Zornig machte er sich die allerschlimmsten Vorwürfe, das lose Jackenfutter nicht vorher bemerkt zu haben, und
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