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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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dem spitzenbewehrten, eisernen Zaun die Kastanienbäume standen, zu denen Manni Lenz und seine Freunde im Frühherbst so oft hinübergestiegen waren, standen zwei grüne Militär-LKWs. Die hohen Bäume waren längst kahl, nur wenige braune Blätter hingen noch im Geäst. Ein Anblick, der auch nicht aufmunterte. Lenz bestieg einen der beiden LKWs, setzte sich auf eine Bank und schloss die Augen. Um ihn herum wurde gerätselt, wo es denn hinging; er wollte es gar nicht wissen.
    Es ging dann erst mal nur bis zum Bahnhof Lichtenberg. Dort waren schon mehrere LKWs aus anderen Stadtteilen eingetroffen. Ein Sonderzug stand bereit; Sammeltransport; alles Waggons 2. Klasse. Einige alkoholisierte Schreihälse, die die Abschiedsnacht durchgefeiert haben mussten, hingen bereits in den Fenstern und begrüßten die Neuankömmlinge johlend. Die hatten nur eine Frage: »Wisst ihr schon, wo’s hingeht?«
    »Zur Hölle!«, krähte ein sommersprossiger Rothaariger so vergnügt, als befände er sich mitten in einem Faschingsumzug, ein kleiner Hagerer mit Adlernase kicherte leise: »Nach Stalingrad, unsere Alten ausbuddeln, wohin denn sonst?«
    Niemand wusste, wo es hinging; die Offiziere und Unteroffiziere aus der Begleitmannschaft gaben auf diesbezügliche Fragen keine Antwort.
    Lenz ergatterte einen Fensterplatz und blickte zu dem wohl extra für diesen Transport auf dem Bahnhof aufgestellten Fahnenmast hin: Schwarzrotgold mit Hammer und Zirkel im Ährenkranz. Wie hieß es immer so schön, du musst zur Fahne? Da war sie, die Fahne, der sie sich zu unterwerfen hatten; ein Stück Stoff, weiter nichts.
    Offiziere in dünnen, grauen Mänteln liefen über den Bahnsteig und herrschten die allzu lauten Gröhler an: »Fenster zu! Das hier ist kein Jahrmarkt! Benehmen Sie sich anständig oder Sie werden für Ihr Betragen zur Rechenschaft gezogen.«
    Lenz’ ältere Kollegen hatten zu dieser Einberufung gesagt: »Soll’n se euch ruhig mal die Hammelbeine lang ziehen, Ordnung und Disziplin hat noch niemandem geschadet. Wir mussten ja auch hin, weshalb soll’s euch besser gehen? Wir aber haben unsere Ärsche riskiert, ihr ballert nur mit Platzpatronen herum.« Wie hatte er sie für diese dummen Worte verachtet. Nach dem Krieg hatten sie getönt: »Lieber ein Leben lang trocken Brot essen, aber nie wieder Krieg. Der Arm soll uns abfallen, wenn wir noch einmal eine Waffe in die Hand nehmen!« Und jetzt? Jetzt winkten sie ihren Söhnen und Enkelsöhnen nach, als fuhren die nur in die Ferien.
    Unteroffiziere mit Armbinden und Maschinenpistolen kamen durch den Waggon und sammelten alle Schnapsflaschen ein.
    »Kriegen wir die wieder?«
    »Ja, in anderthalb Jahren – wenn das Zeug bis dahin nicht verdunstet ist.«
    Der Ruß der Dampflokomotive im blassblauen Novemberhimmel, das Darumtata-darumtata der Schienenschläge; es ging weg von Hannah und Silke, immer weiter weg. Lenz sah Telegrafenmasten und kahle Sträucher und Bäume vorbeifliegen, längst abgeerntete Felder und trostlose Herbstwiesen. Ein ferner, sanfter Hügel begleitete den Zug, weidende Schafe, Kühe oder Pferde zogen vorüber und einmal fesselte ein stark sprudelnder Bach mit herrlich klarem, in der Sonne glitzerndem Wasser seinen Blick; Bilder von so heiterem Charakter, dass ihn seine Situation nur noch mehr bedrückte.
    Flog ein Bahnhof vorüber, sah er: Es ging stetig in Richtung Norden.
    Der erste Halt war Prenzlau.
    Ein Tumult entstand. Es sollten nur diejenigen aussteigen, deren Namen zuvor aufgerufen worden waren, es stiegen aber auch ein paar Betrunkene aus, die im Zug zu bleiben hatten. Die Unteroffiziere mit den Maschinenpistolen befahlen ihnen, wieder einzusteigen, die Ausgebüxten tanzten nur johlend auf dem Bahnsteig herum und winkten denen zu, die ihnen aus offenen Zugfenstern Beifall klatschten. Der Bahnhofsvorstand blickte auf seine Uhr; dieser Sammeltransport brachte den gesamten Fahrplan durcheinander.
    Als endlich alle Krakeeler eingefangen waren und die Fahrt fortgesetzt werden konnte, gingen Offiziere durch den Zug und verkündeten laut, dass, wer sich noch einmal solche Späßchen erlauben sollte, nach Militärgesetzen bestraft würde. Sie seien jetzt Soldaten, auch wenn sie noch keine Uniform trügen, weshalb sie die Befehle ihrer Vorgesetzten ohne Widerspruch zu befolgen hätten. Dennoch kam es beim nächsten Halt – Bahnhof Pasewalk – zu ähnlichen Vorfällen.
    Lenz gehörte zu denen, die bis zuletzt im Zug bleiben mussten: Bahnhof Ueckermünde, direkt am

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