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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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schon nach wenigen Minuten nicht mehr halten konnten. Eine Tortur, sich nichts in die Ohren stecken zu dürfen; eine Meisterleistung an Heuchelei und Disziplin, zu all dem Wortgekotz zu schweigen. Einmal gelang Lenz das nicht. Wittkowski hatte getönt: Sollte der Westen einen Angriff auf die DDR wagen, werde die sozialistische Waffenbrüdergemeinschaft dem imperialistischen Aggressor zuvorkommen und ihn auf eigenem Boden vernichtend schlagen. Erst schwieg alles nur verdutzt, dann hob Lenz die Hand.
    »Flieger Lenz!«
    »Hab ich richtig verstanden: Sie wollen den Gegner im eigenen Land schlagen?«
    »Jawohl, Flieger Lenz! Das werden wir tun, falls es nötig werden sollte.«
    »Und das, noch bevor er uns angegriffen hat?«
    »Wenn er einen Angriff gegen uns vorbereitet – natürlich!«
    »Aber es heißt doch immer, nur ein Verteidigungskrieg kann ein gerechter Krieg sein. Wie kann man sich verteidigen, bevor man angegriffen wird?«
    Da lachte er herzlich, der Politnik Wittkowski. »Schon mal was davon gehört, dass die Offensive die beste Form der Verteidigung ist, Flieger Lenz?«
    Worte, die noch stärker beunruhigten. Getuschel setzte ein. Wittkowski redete weiter auf sie ein: Was sollten die sozialistischen Waffenbrüder denn tun, wenn ihre Kundschafter meldeten, dass die imperialistischen Menschenfeinde einen Angriff auf die sozialistische Staatengemeinschaft vorbereiteten? Still abwarten, bis der Feind den Erstschlag getan hatte, vielleicht schon von Braunschweig aus auf Magdeburg vorgerückt war? Würde man so handeln, würde man dem Imperialismus ja Tür und Tor öffnen. Nein! Natürlich würde man niemals von sich aus einen Krieg beginnen, im Gegenteil, die sozialistischen Staaten bildeten ein Bollwerk des Friedens. Aber sollten die Kundschafter melden, dass der Feind einen Angriff vorbereitete, müsste man präventiv zurückschlagen. Im Interesse des Weltfriedens.
    Einige lachten nervös. Wie das denn funktionieren sollte: präventiv zurück schlagen? Das lief ja auf einen »vorbeugenden Erstschlag« hinaus. Und »Erstschlag« und »Verteidigung«, wie passte das denn zusammen? Außerdem würde doch jeder Erstschlag, egal ob nur vorbeugend oder nicht, unweigerlich zu einem Atomkrieg führen. Konnte ein Krieg, der die Menschheit, zumindest aber große Teile der Menschheit auslöschte, denn überhaupt noch »gerecht« sein?
    Wittkowski hörte den Fragern aufmerksam zu, dann fragte er streng zurück: »Und wie kann die Welt ohne Sozialismus gerechter werden? Kann mir das mal einer verraten?«
    Lenz: »Soll das heißen, wir würden für unsere Ziele die Menschheit opfern? Was haben wir denn von einem Sozialismus ohne Menschen?«
    Da wurde langsam auch der Politnik Wittkowski nervös. »Unterstellen Sie mir doch keine Ausführungen, die ich nicht gemacht habe! Ich wollte lediglich sagen, dass allein der Sozialismus eine gerechte Welt garantiert. Dass ein eventuell notwendiger Präventivschlag die Menschheit schützen und nicht ausrotten soll, versteht sich ja wohl von selbst. Schließlich sind nicht wir die Kriegstreiber; wir sind aber auch nicht so dumm, einem Aggressor ins offene Messer zu laufen.«
    Der sture Lenz: »Und wer befindet darüber, ob das Messer schon offen oder noch zugeklappt ist?«
    »Die führenden Genossen. Das ist ja wohl klar.«
    »Aufgrund dessen, was die Kundschafter melden?«
    »Ja, natürlich!«
    »Und wenn unsere Kundschafter sich irren?«
    Da musste er tief Luft holen, der Genosse Leutnant. »Mensch, Lenz! Wir haben doch keine Idioten an der unsichtbaren Front. Selbstverständlich werden solche Meldungen überprüft.«
    »Durch wen?«
    »Ja, glauben Sie denn, wir hätten nur einen einzigen Kundschafter im Einsatz?«
    »Also ist ein Irrtum ausgeschlossen?«
    »Wenn es um eine so ernste Frage wie Krieg oder Frieden geht – selbstverständlich!«
    Lenz, sich zurücklehnend: »Na, dann bin ich ja beruhigt. Schön, dass alles so klar ist!«
    Joachim Trumm, ein vierschrötiger Mecklenburger mit pfiffigem Bauerngesicht, berühmt für die selbst gemachten Katenwürste, die seine Mutter ihm allwöchentlich schickte, wollte das kitzlige Thema noch ein bisschen am Köcheln halten: Wie weit sie denn vormarschieren müssten, wenn es mal zu einem solchen Prä-Prä – Wittkowski: »Präventivschlag!« – kommen sollte? Nur bis hinter die Grenze, so etwa bis Braunschweig, oder gleich bis nach Paris?
    Wittkowski merkte, dass er eine Lawine losgetreten hatte. Ungeduldig versuchte er abzuwiegeln:

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