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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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Selbstverständlich würden Sozialisten niemals in andere Länder einmarschieren; es gehe immer nur um Selbstverteidigung. »Denken Sie doch mal an unsere Mütter und Väter, Frauen und Kinder, Fabriken und Kultureinrichtungen. Wenn man uns einen Krieg aufzwingt, sollen wir da unsere Familien und Errungenschaften gefährden?«
    »Ick bin für Paris.« Willi Scholz, ein kleiner, spindeldürrer Kerl mit verträumten Augen und riesiger Berliner Klappe, strahlte. »Da war mein Großvater schon. Hat er tolle Sachen von erzählt. Braunschweig is doch bloß ’n Kaff.«
    Alles grinste, alles wusste, wie der kleine Willi seine Worte gemeint hatte: Das war ja das Dilemma all dieser Generäle, Oberste, Majore, Hauptmänner und sonstigen Offiziere, dass die jungen Männer, die sie zu Soldaten erziehen sollten, mit Picassos Friedenstaube in der Hand aufgewachsen waren. »Frieden« war das Wort, mit dem alle Einwände totgeschlagen werden konnten. Mauertote, Diktatur, Stalinismus – was soll’s? Hauptsache Frieden! Und nun sollten diese vom Kinderwagen an eingeschworenen Friedensfreunde eventuell eines Tages Krieg führen müssen? Und das möglicherweise gegen ein so leuchtendes und allseits beliebtes, aus vielen Filmen und Büchern bekanntes Land wie Frankreich mit seiner Traumstadt der Liebe? Zwar mussten die Genossen Flieger ihren Dienst versehen, da gab es nur Befehle, keine Diskussionen; aber ihre Sympathien ließen sie sich nicht nehmen.
    Er rettete sich mal wieder in einen langen Monolog, der Genosse Politnik, der damit endete, dass Sozialisten niemals Angriffskriege führen würden, sich jedoch, wenn es darauf ankommen sollte, mit allen militärischen Mitteln zu verteidigen wüssten. Weil nämlich fromme Gebete gegen einen schwer bewaffneten Gegner nichts nützten, wie die Geschichte bewiesen habe. »Wie sähe die Welt denn heute aus, wäre man einem Adolf Hitler nur mit zum Gebet erhobenen Händen entgegengetreten anstatt mit Waffen, Mut und Opferwillen?«
    Dem konnte niemand widersprechen; Wittkowski durfte aufatmen.
    Ein anderer Weltreisender in Sachen Verteidigung des Sozialismus war Oberfeldwebel Sievers, Lenz’ Zugführer und Chef aller Pragsdorfer Planchettis; ein großer, drahtiger, goldblonder Dreißiger, der bereits Stabsfeldwebel gewesen, wegen seiner Saufeskapaden aber um eine Stufe degradiert worden war. Sievers gehörte noch zu denen, die sich Ende der fünfziger Jahre freiwillig für zwölf Jahre verpflichtet hatten. Ein Langzeitler. Er kam aus Rostock und schwärmte von Rostock und betrachtete sich als unversöhnlichen Feind des internationalen Imperialismus. Dennoch soff er weiter. Alkohol und deftige Kasernenstreiche gehörten seiner Meinung nach zum Soldatenleben. »Als Soldat musst du hart wie Glas sein und eine Leber aus Eisen haben«, tönte er oft. Ein Sievers, davon war Lenz überzeugt, hätte auch unterm Kaiser und dem Führer willig gedient; ein Sievers hätte immer und überall seine Imperialisten gefunden. Leider aber hatte der Genosse Oberfeldwebel noch nie einen Krieg mitmachen dürfen, so fühlte er sich wie die Jungfrau, die den Geschlechtsverkehr zwar theoretisch genauestens studiert hatte, jedoch keinerlei Möglichkeit sah, jemals ihr einzigartiges Talent dafür beweisen zu dürfen. Um sein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber all den wirklichen Frontschweinen dieser Welt zu kaschieren, lief er stets herum, als wäre er gerade erst aus dem Schützengraben gekommen: Hose zerknautscht, Stiefel zerlatscht, Koppel verrutscht, die Schirmmütze in der Mitte so eingeknickt, dass sie sich an den Rändern nach unten bog. Nichts sollte neu aussehen; er wollte kein Schaufenster-Soldat sein, wollte, wenn schon nicht nach Pulverdampf, so doch wenigstens nach Schweiß stinken.
    Während Lenz’ letztem Diensthalbjahr kam der »Oberfeld« mal besoffen auf die Stube. Der Stubendurchgang war bereits vorüber, wer keinen Dienst hatte, lag in seinem Bett, las oder döste. Da Lenz – nun Gefreiter und Stubenältester – keine Lust hatte, noch mal aufzuspringen und Meldung zu erstatten, stellte er sich schlafend. Sievers rüttelte ihn wach: »Gefreiter Lenz! Gefreiter Lenz! Befehl: Wir werden unseren vietnamesischen Klassenbrüdern im Kampf gegen die amerikanischen Aggressoren zur Seite stehen! Freiwillige werden gesucht. Melden Sie sich!«
    In den anderen Betten wurde gekichert, Lenz wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Sollte er sagen: »Genosse Oberfeldwebel, Sie sind betrunken. Gehen Sie in Ihr

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