Krokodil im Nacken
bemerkt und war nach der Hälfte des Films unter tosendem Gelächter hinausgegangen. In Wahrheit aber war Ko-Chef Müller kein Cäsar. Stets wollte er mit allen gut auskommen, freundlich sein und Belobigungen verteilen. Er suchte das Gute in jedem, fand es nur nicht. Weshalb er stets und ständig enttäuscht war, sich ausgetrickst und hintergangen fühlte und jeden spöttischen Blick als Angriff auf die eigene, nicht genügend respektierte Persönlichkeit betrachtete. Um sich diesen Respekt dennoch zu verschaffen, kannte er nur zwei Arten von Bestrafungen: Ausgangs- und Urlaubssperren. Alles andere wirkte ja doch nicht.
So war es kein Wunder, dass Cäsar Müller in der Kompanie äußerst unbeliebt war. Als Lenz’ Dienstjahrgang seine anderthalb Jahre herumhatte, am letzten Tag alle in Zivilkleidung vor der Führungsstelle angetreten waren und Oberleutnant Müller ihnen zum Abschied die Hand reichen wollte, wurde ihm der Handschlag verabredungsgemäß verweigert. Bei dreien versuchte er es, dann drehte er sich wortlos um und verschwand in der Führungsstelle. Höhnische Blicke folgten ihm. Jetzt konnte er sie nicht mehr bestrafen; zu Freundlichkeiten waren sie nicht verpflichtet.
Sechzehn Monate Pragsdorf – das bedeutete nichts anderes als sechzehn Monate Zeit totschlagen! Wie gut, dass Lenz so gern schrieb. Saß er nachts Bereitschaft in der Führungsstelle und wurde er nicht gestört, weil am Himmel nichts los war, nahm er sein Schreibzeug heraus. Vor ihm das grüngelb leuchtende Planchett mit dem Koordinatensystem und den in rötlichen Farbtönen hervorgehobenen Staatsgrenzen und Luftkorridoren, in Reichweite die Telefonanlage mit den schwarzen und roten Vermittlungssteckern, er selbst auf einem etwas erhöhten Podest sitzend, so dichtete er sich vom Herzen, was ihn beschäftigte und bedrängte. Wurde von der Hauptführungsstelle ein Alarm oder eine Übung durchgegeben oder die Begleitung irgendeines unbekannten Flugobjekts verlangt – manchmal überquerte ein Ballon ihr Gebiet –, versteckte er sein Schreibzeug rasch und ließ über den UvD den Offizier vom Dienst wecken.
In diesem sorgfältig ausgewählten Versteck lagen seine Texte auch, wenn er keinen Dienst hatte. In der Höhle des Löwen erschienen sie ihm am sichersten. Hielten sich Offiziere in der Führungsstelle auf, dachte er oft: Wenn du wüsstest, was du da wärmst! Und er lächelte dabei, und die Offiziere lächelten zurück: Netter Kerl, dieser Lenz; nicht nur, dass er was konnte, er war auch immer so freundlich!
Fuhr er auf Urlaub, nahm er die Texte aus dem Versteck – dem schmalen Spalt unter dem hölzernen Kommandopodest, aus dem man die Papiere nur mit einer Pinzette hervorziehen konnte – und brachte sie Hannah. Sie schrieb sie für ihn ab, mit der Schreibmaschine, und tippte seinen vollen Namen auf das Deckblatt. Als Zivilist wollte er zu seinen Texten stehen.
Oft hatte Hannah Angst. »Wenn das einer liest! Das bringt dich ins Gefängnis.«
»Solange ich es nirgendwo zur Veröffentlichung einreiche, wird es niemand lesen. Und wie sollte ich denn anders schreiben? So denke ich nun mal.«
Einmal schrieb Lenz eine Erzählung über die Pragsdorfer Kompanie. Nach einer wahren Begebenheit. Titel: Die Legende von Paul und Paula . Später gab es einen Defa -Film gleichen Titels, der aber nichts mit dieser Soldatenstory zu tun hatte. In Lenz’ Geschichte ging es um zwei Schafe, die die Pragsdorfer Bauern der Kompanie zum 1. Mai geschenkt hatten. Die beiden lebenden Rasenmäher – sie hatten sie Paul und Paula getauft – sollten über das grüne Kompaniegelände streifen und, waren sie erst angemästet genug, eines Tages in der Suppe landen. Dieser Tag kam heran, inzwischen aber hatte jeder die beiden schon mal gestreichelt, mit ihnen geredet oder sie geneckt, und als Mulle – Andreas Müller, Koch der Kompanie, sommersprossig, schmuddlig und von Beruf Schlächter auf dem Berliner Zentralviehhof – mit dem Beil anrückte, um seinem erlernten Beruf nachzugehen, waren die beiden Schafe plötzlich verschwunden. Irgendwelche zart besaiteten Seelen mussten sie entführt haben. Ein Fall für Spieß Kunze. Den gesamten Posten ließ er absuchen, bis Paul und Paula schließlich im Werkstattschuppen entdeckt wurden. Wer die beiden Tiere dorthin gebracht hatte, kam nie heraus; Paul und Paula aber wurden abgeführt, und eine Debatte setzte ein, die die ganze Kompanie erregte: Durfte man Tiere, die man kannte und die einen Namen hatten, töten und
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