Krokodil im Nacken
Skandale und Schikanen in der Bundeswehr informiert, wurden übel beleumdete Kasernen und Schleifer beim Namen genannt und die sich stetig häufenden Starfighter-Abstürze akribisch mitgerechnet. Wie schade, dass es im Westen keinen Sender gab, der auf gleiche Weise über das Leben und Sterben in der Nationalen Volksarmee berichtete; wie erhellend, dass sie, die eigenen Leute, den Deutschen Soldatensender offiziell nicht hören durften! Sie hätten ja sonst Vergleiche anstellen können.
Auch die Jagd nach Staedtler -Stiften gehörte zum Alltag; bundesrepublikanische Fettstifte, die es den Planzeichnern ermöglichten, auf Glas oder Plexiglas zu schreiben. Die in der DDR produzierten Stifte taugten nichts, die Minen schmierten und brachen unentwegt. Sievers, Feind aller Imperialisten und deren Helfershelfer, legte ihnen nahe: »Wenn ihr drüben eine Tante habt, lasst euch einen Vorrat Staedtler -Stifte schicken.« Eine brisante Empfehlung, war ihnen als Angehörigen der Nationalen Volksarmee doch jeder Kontakt zur Bundesrepublik verboten. Sievers aber hatte seinen Lenin gelesen, und hatte der nicht gesagt, dass der Sozialismus den absterbenden Kapitalismus in jeder Weise ausnutzen und schädigen durfte, wenn er dessen Tod damit beschleunigte? Cäsar Müller und Politnik Wittkowski mussten dieses Kapitel auch gelesen haben; sie sahen ja, mit welchen Stiften ihre Planchettis arbeiteten.
Lenz bezog seine Staedtler -Schätze über Hannahs Bruder Jo. Auf diese Weise belieferte der ehemalige Soldat der Bundeswehr einen Wehrpflichtigen der Feindesarmee mit Waffen. Ein Paradebeispiel für angewandten Leninismus? Oder nur friedliche Koexistenz im Kleinen?
Nicht alltäglich waren die Treffen mit den russischen Waffenbrüdern. Die russischen Soldaten, die ihre Kasernen hinter den hohen, grünen Bretterzäunen sonst nur zu Geländeübungen verlassen durften, waren größtenteils ewig grinsende, verunsichert wirkende große Kinder. Traurigkeit ging von ihnen aus. Es wusste ja jeder, dass sie oft jahrelang keinen Urlaub bekamen und für das geringste Vergehen von ihren Offizieren geprügelt wurden. Und hielt einer von ihnen dieses Leben nicht länger aus und machte sich aus dem Staub, wurde er von seinen Genossen und deutschen Volkspolizisten gesucht. Und wenn er entdeckt wurde und nicht stehen blieb, wurde geschossen.
Am Ende mutierte jeder dieser Verbrüderungsabende zum reinen Saufwettbewerb. Was hätten sie denn sonst miteinander anfangen sollen? Zwar hatten die deutschen Brüder in der Schule Russisch gelernt, doch was hatten sie davon schon behalten? Und da die Russen ihre Kasernen nicht verlassen durften, sprachen sie kein Wort Deutsch.
An einem dieser Abende kurz vor Ende seiner Dienstzeit zählte der schon halb betrunkene Lenz vor Wut über die mangelnden Verständnismöglichkeiten zum Schluss nur noch russische Dichternamen auf und die nicht minder angeheiterten russischen Brüder klatschten bei jedem Namen begeistert Beifall. Dabei hätte Lenz seinen Nachbarn, einen strohblonden, stupsnäsigen, pfiffig wirkenden Burschen aus Leningrad, viel lieber gefragt, ob das nicht seltsam sei, dass die Deutschen und die Russen so viele Gemeinsamkeiten hatten. Überall in der Welt würden die Leute bei dem Namen Hitler an Deutschland denken, obwohl der doch eigentlich Österreicher war, und bei Stalin an einen Russen, obwohl der doch Georgier war. Und auf beiden Seiten, auch daran hätte er den Strohblonden gern erinnert, habe es Lager gegeben, in denen die einen die Menschen auf technisch perfekte Weise ums Leben brachten und die anderen sie sich zu Tode schinden ließen. Und ebenfalls auf beiden Seiten hätten Millionen Menschen vor diesen Gräueltaten die Augen verschlossen. Aus Angst, Gleichgültigkeit oder Karrieredenken. Du aber, braver Soldat Wanja, und ich, der brave Soldat Manne, wir können beide nichts für diese fürchterlichen Verbrechen und das verdammte Wegkucken und werden doch in aller Welt schief dafür angesehen. Das aber müssen wir aushalten, Bruder Wanja; wir sind nicht beliebt! Und weiterhin, Wanjuscha, müssen wir aushalten, dass eventuell dein Vater den meinen oder meiner deinen erschossen hat. Können wir das? Und wenn wir das können, Wanjuscha – eine fast übermenschliche Leistung von deiner Seite, ich weiß, denn wir haben euch überfallen und nicht ihr uns –, wenn wir das können, Wanjuscha, was machen wir, wenn sie uns morgen befehlen, mal wieder aufeinander zu schießen? Schießt du dann auf
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