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Krokodil im Nacken

Krokodil im Nacken

Titel: Krokodil im Nacken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Kordon
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mich, Bruder Wanja, oder verweigerst du den Befehl und wirst selbst erschossen? – Nein, du verweigerst nicht den Befehl, du schießt auf mich. Und ich, Towarisch Wanja, ich schieße auf dich! Ach, da verbrüdern wir uns doch lieber miteinander und saufen uns die Hucke voll. Bist ein feiner Kerl, Wanjuscha! Es lebe die deutsch-sowjetische Freundschaft!
    Und vielleicht hätte der strohblonde Wanja dem dunkelblonden Manne an diesem Abend Ähnliches gesagt, wenn der nur besser Russisch gesprochen hätte oder er selbst ein paar Brocken Deutsch hätte hervorzaubern können.
    Die letzte Nacht! Auf der Stube der Planchettis wurden alle Fenster verhängt; die drei EKs – mit Gio Waldmann wären sie vier gewesen – gaben ihren Ausstand. Ein rauschendes Fest mit Bier und Wein, Würstchen und Bouletten, sauren Gurken und Rollmöpsen sollte da bis in den frühen Morgen hinein gefeiert werden. Doch es rauschte nur sehr leise. Wer noch bleiben musste, war eher melancholisch gestimmt; die drei Entlassungskandidaten blickten nur sehr nachdenklich zurück: Gio – irgendwie saß er mit am Tisch.
    Am nächsten Morgen stand pünktlich um zehn Uhr der von den etwa zwanzig EKs gemietete Bus vor dem Kompanietor und der Fahrer rollte einen roten Teppich aus: Willi Scholz’ Idee. Als der Bus anfuhr, sangen sie aus voller Kehle: »So ein Tag, so wunderschön wie heute!« Sie sangen bis zum Neubrandenburger Bahnhof. Dort stiegen alle die aus, die in Richtung Norden oder Osten mussten, die anderen fuhren bis Berlin weiter, um dort in die verschiedenen Züge Richtung Süden oder in die S-Bahn umzusteigen.
    Was für eine Heimkehr! Auf Lenz warteten ja nicht nur Hannah und Silke und der erst zehn Tage alte Micha, auch eine neue Wohnung erwartete ihn: zwei Zimmer mit Bad und Zentralheizung im zehnten Stock eines Friedrichsfelder Neubauviertels. Sie hatten sie bereits im Jahr zuvor beziehen dürfen, er hatte den Umzug per Sonderurlaub bewältigt. War er danach auf Urlaub gekommen, hatte er ihre neue Heimstatt schon vom Zugfenster aus sehen können und war jedes Mal von Lichtenberg aus zu Fuß nach Friedrichsfelde gehastet; auf die Straßenbahn zu warten, dazu hatte er nie die Geduld gehabt. Heute wäre er am liebsten geflogen.
    Hannah, Hannah, Hannah! Silke, Silke, Silke! Micha, Micha, Micha! Er hatte auch zu Michas Geburt noch einmal Sonderurlaub bekommen, bei Hannah am Bett gesessen und sie, die so schwere Monate hinter sich hatte, allein mit Silke und dem in ihrem Bauch heranwachsenden Zehnpfünder, immer wieder gestreichelt und den dicken Sohn begutachtet, der so pausbäckig war, dass alle Säuglingsschwestern über ihn lachen mussten. Wie schwer war es ihm gefallen, noch einmal nach Pragsdorf zurückzukehren, nur um die letzten zehn Tage Dienstzeit abzureißen!
    Jetzt aber war das vorbei; jetzt war er wieder da! Es dauerte ihm viel zu lange, bis der Fahrstuhl kam, zu Fuß raste er in den zehnten Stock hoch – und dann lagen sie sich auch schon in den Armen, die glückliche Hannah, die freudestrahlende Silke und Lenz mit seinem dicken Micha vor der Brust, der ob dieser Störung in seinem Babyleben allerdings nur sehr mürrisch kuckte.
    Ja, jetzt sollte das ganz große Glück beginnen; nie wieder wollten sie sich trennen. Lenz konnte nur lachen, als ihm, dem mehrfach ausgezeichneten Pragsdorfer Planzeichner, nur drei Monate nach seiner Entlassung aus der Armee die Teilnahme an einem Offizierslehrgang angeboten wurde. Nur ein Vierteljahr, so schrieb man, und er würde den Lehrgang als Unterleutnant der Reserve abschließen.
    Das Studium, das er nun endlich beginnen wollte, war ein einfacher, einleuchtender und politisch nicht unkorrekter Grund für seine Absage.

7. Paukenschläge
    S ie hielten sich an den Händen und wanderten durch eine Wiesenlandschaft, Hannah, Silke, Micha und er. Der Himmel war weit und licht, in der Nähe wussten sie die Ostsee; ein Ferientag voll Sonne. Doch warum waren Micha und Silke so still? Und weshalb wagten auch Hannah und er nichts zu sagen?
    Ein Blaubeerwald! Nun befanden sie sich mitten in einem Blaubeerwald. Den kannte Lenz, das war der Wald bei Prerow auf dem Darß, in dem sie sich im vorigen Jahr so oft die Zungen blau gefärbt hatten. Unermesslich viele, große, herrlich schmeckende Blaubeeren gab es dort; nur die Mücken, die machten das Beerenlesen zur Plage … Aber nein, das war nicht der Darß! Der Wald wurde ja immer dichter und höher, die Bäume wuchsen in ein Gebirge hinauf. Und jetzt rollten

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