Krokodil im Nacken
gehen. Und würde es doch mal einer versuchen, würde er sofort als politisch unzuverlässig abgestempelt.
Hartmann sah ihn schweigend an. Dann sagte er: »Ich bin 1931 in die KPD eingetreten. Zu jener Zeit gab’s viele Gründe, Kommunist zu werden. Jetzt sind wir, die ehemals Ohnmächtigen, an der Macht. Das hat uns zweifellos verändert, und so mancher von uns hatte wohl nie ein anderes Ziel, als selbst an die Macht zu kommen. Aber ich frage Sie, was kann eine Idee dafür, wenn Schmutzfinken sie besudeln?«
Erschrocken blickte Lenz zur Tür. Wenn nun jemand mithörte!
Hartmann hatte seinen Blick bemerkt, sprach aber ungerührt weiter. In seinen jungen Jahren habe er viel mit Künstlern, Wissenschaftlern und angehenden Politikern verkehrt; alles Leute, die nun auf irgendeine Weise den neuen Staat repräsentierten. Er habe sie gekannt, als sie noch jung und voller Ideale waren. Damals, davon sei er überzeugt, hätte so mancher von ihnen auch einem Manfred Lenz imponiert. »Ich wiederhole: Damals, Lenz, gab es Gründe, Kommunist zu werden. Heute gibt es für Leute wie Sie leider triftige Gründe, keiner werden zu wollen. Das muss ich akzeptieren, weshalb ich nicht weiter in Sie dringen will. Aber ich bedaure Ihre Ablehnung, weil wir auf diese Weise nicht die Menschen für uns gewinnen, die eines Tages für die dringend notwendige Erneuerung sorgen können. Ohne Erneuerung aber …« Er unterbrach sich, wischte mit der flachen Hand über seinen Schreibtisch und lächelte traurig.
Lenz lächelte zurück. Wie schade, dass dieses Gespräch schon zu Ende war.
Wenige Wochen später erfuhr er Näheres über Hartmanns Lebenspartner. Helmut Buchholz hatte erlebnisreiche Jahre hinter sich. Als Jungkommunist aus bürgerlichem Hause vom Gymnasium verwiesen, engagierte er sich im Rotfrontkämpferbund der KPD, wurde mehrfach inhaftiert und emigrierte unter Hitler in die Sowjetunion. Dort wurde er als »faschistischer Spion« entlarvt, kam für zehn Jahre in Stalins Arbeitslager und musste mit ansehen, wie viele seiner Genossen an den harten Arbeits- und Lebensbedingungen zugrunde gingen oder rücksichtslos an ihren Verfolger Hitler ausgeliefert wurden, um in dessen KZ ermordet zu werden. Dennoch kehrte er in den Osten Berlins zurück. »Es gibt keinen anderen Weg«, erklärte er seinem wieder gefundenen Geliebten, dem jungen Waldemar Hartmann, der Hitler und den Krieg als Soldat überlebt hatte. »Das mit Stalin geht vorüber, unsere Idee lebt weiter.«
Die von den Wissarionowitschs, Hartmanns und Buchholz’ erträumte Partei hätte Lenz vielleicht für sich einnehmen können; die real existierende nicht.
Jeden Monat drei Tage Leipzig. Vier Jahre lang. Lenz quälte sich mit Mathematik und Physik herum, schrieb vorsichtig-kritische Aufsätze über die aktuelle Gegenwartsliteratur, lernte in Marxismus-Leninismus, Politische Ökonomie, Staat und Recht und ähnlichen Nachplapper-Fächern ein paar der notwendigen Sprüche auswendig und entwickelte sich ganz gegen seine Talente zum Spezialisten im Fach Medizintechnik und Instrumentenkunde. Bei so mancher Operation hätte er assistieren können, über die verschiedenen Augenskalpelle bis hin zur kompletten Röntgenanlage wusste er Bescheid.
Unter den sächsischen Dozenten gab es viele Originale, der gefürchtetste, aber auch beliebteste war der lange Physikpauker Reiter, der so viel wusste und konnte und sichtlich unter seinen unwissenden und uninteressierten Schülern litt, sich aber dennoch zu freundlichen Scherzen hinreißen ließ.
Reiter zum dicken, etwas begriffsstutzigen Friedel Lehmann: »Nu, Lähmann, erklär’n Se uns mal mit ganz einfachen Worten: Was is ’n Häbel?«
»Ein Hebel? Ein Hebel is ’n langes dünnes Ding.«
Reiter: »Aber ich bidde Se – bin ich etwa ä Häbel?«
Lustig war auch der kleine »Kolläche« Stein, der Medizintechnik und Instrumentenkunde unterrichtete und hauptamtlich im Leipziger Versorgungsdepot angestellt war; ein schon etwas älterer, leicht zerstreuter Graukopf, der einmal eine ganze Stunde lang mit sperrangelweit offenem Hosenschlitz vor ihnen herumtanzte und am Ende, als der bullige Pflanz ihn darauf hinwies, rot wurde wie ein junges Mädchen, dem man gesagt hatte, sie habe unter ihrem Rock den Slip vergessen. Stein prüfte Lenz in Instrumentenkunde und suchte sich für die mündliche Prüfung eine der schwierigsten Operationen aus: die Schädeltrepanation. Es galt, alle Instrumente aufzuzählen, die für diese Operation
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